MusikTexte 1 – Oktober 1983, 50

Sounds of the spores dropping from a mushroom

Zur Internationalen Sommerakademie für zeitgenössische Musik in Viitasaari

von Gisela Gronemeyer

Es ist ein kleiner Ort in Mittelfinnland, idyllisch zwischen den Seen gelegen, in dem nun zum zweiten Mal die „Kansainvälinen uuden Musiikin Kesäakatemia‘‘, die internationale Sommerakademie für zeitgenössische Musik stattfand, im Städtchen Viitasaari. Der finnische Komponist und Pianist Jukka Tiensuu, der auch die neuer Musik gewidmete Helsinki-Biennale gegründet hat, ein musikalisches und organisatorisches Allround-Talent, zeichnete auch für diese Veranstaltung rundherum verantwortlich: Er machte das Programm, er schrieb das Programmheft und er wirkte fast jeden Abend am Klavier oder Cembalo im Konzert mit.

International hat sich noch wenig herumgesprochen, was in Viitasaari vor sich geht. Es waren außer Finnen gerade ein paar Schweden, fünf Deutsche und ein Holländer da. Und doch hatte die fast vierzehn Tage dauernde Akademie eine große Attraktion zu bieten: John Cage hielt einen Kompositionskurs, und mit ihm lehrten June Finch den Tanz, Jane Manning das Singen, Barry Guy den Kontrabass, Paul Zukofsky die Violine, Pierre-Yves Artaud die Flöte und Jukka Tiensuu das Klavier, das Cembalo, Kammermusik und Komposition. Vormittags wurde unterrichtet, am späten Nachmittag und am Abend gab es Lectures und Konzerte, die von den Dozenten oder auch von den Studenten bestritten wurden.

Der Kurs von John Cage war schon die Attraktion der Kesäakademia. Als er ankam, so erzählte er, wusste er noch gar nicht, dass er unterrichten sollte. Schon die Reise war für ihn mit allerlei Aufregungen verbunden, denn als er am Ziel war, waren seine Koffer verschwunden. Also musste er sich erst ein mal neu einkleiden und kaufte, da sie ihm so gut gefielen, gleich sechs Jeans-Hemden gleicher Farbe und Sorte. Nun sah er sich also in Viitasaari vor die Aufgabe gestellt, zu unterrichten, und er beschloss, den Studenten aufzugeben, für den jeweils nächsten Tag eine kleine Performance auszuarbeiten, die erst aufgeführt und dann gemeinsam durchgesprochen werden sollte. Er hatte schon einmal in dieser Art einen Kurs gehalten, allerdings noch mit der Auflage, dass die Performance am ersten Tag eine Minute dauern sollte, am zweiten zwei, am dritten drei und so weiter, bis man bei etwa fünfzehn Minuten angelangt war (es gab allerdings bald eine Rebellion unter den Studenten).

Natürlich kamen da die unterschiedlichsten Dinge zusammen. Eine Hommage an Jane Manning zum Beispiel, auf Kassettenrekorder aufgenommene Heultöne einer elektronischen Orgel, oder eine Tänzerin, die sich durch den Raum bewegt und Geräusche macht, während die anderen die Augen geschlossen haben. Oder einer zieht, egal über welche Hindernisse, einen Kreidestrich diagonal durch den Raum, oder eine junge Frau lässt verschiedene Beeren in eine Pappschachtel allen und freut sich über die entstehenden Geräusche. Es gab viele, viele Möglichkeiten, sich und den Raum drinnen wie draußen darzustellen, und viele taten es auch auf dem Instrument, dem Klavier oder dem Saxophon.

Cage diskutierte alles ernsthaft, äußerte behutsam Kritik und lobendes Wohlgefallen (Christian Wolff hat einmal gesagt, an ihm sei ein Musikkritiker verloren gegangen). Dazwischen fielen ihm immer wieder Geschichten ein von Daisetz T. Suzuki, Arnold Schönberg, Marcel Duchamp, Ludwig Wittgenstein, Merce Cunningham, Norman O. Brown, Robert Rauschenberg, Joseph Schillinger und vielen anderen. Er hält Lobreden auf Shri Ramakrishna, Buckminster Fuller und Joseph Matthias Hauer. Und er erzählt Geschichte um Geschichte aus seiner Biographie, die der aufmerksame Leser seiner Schriften allerdings fast alle kennt.

Aber auch manches Ungehörte weiß er zu erzählen: So träumt er von einer Museums-Konstruktion für die Ohren, die es möglich macht, die Sporen der Pilze fallen zu hören. Alle seine Geschichten haben eine Pointe, über die er selbst lacht. Er arrangiert gemeinsam mit den Studenten öffentliche Aufführungen ihrer Performances, er probt mit ihnen „Atlas Eclipticalis“ und bereitet die Aufführung der „Variations IV“ vor. Dazwischen findet er noch Zeit, Pilze zu suchen, obwohl er aufgrund seiner makrobiotischen Diät nur noch wenige essen darf, eigentlich gar keine mehr. Es ist gar nicht so einfach, zumal in diesem Finnland, wo die Leute das, was sie brauchen, oft selber im Garten haben, sich richtig zu ernähren. „Natural food stores“ gibt es hier eben nicht.

Er geht nicht nur in die Konzerte, in denen seine Stücke gespielt werden, sondern auch in die anderen. Und auch hier hält er mit Kritik nicht zurück: einen Abend mit Musik von Naresh Sohal (in England lebender Inder), Anthony Gilbert und Tod Machover fand er zum Beispiel ziemlich unerträglich, weil alles „so dramatisch“ war. Auch Jane Manning ist eine dramatische Sängerin.

Das·Repertoire, das Manning, Guy, Artaud und Tiensuu in den Konzerten so feilboten, war so interessant wahrlich nicht. Da war das von Paul Zukofsky schon aufregender, etwa Morton Feldmans „For John Cage“ für Violine und Klavier oder eine Solosonate von Arthur Schnabel aus dem Jahr 1919. Und natürlich gefielen die Stücke von John Cage, etwa die „Branches“, die er mit den in finnischen Wäldern gesammelten Ästen und Hölzern selbst aufführte.

Wenn Jukka Tiensuu die Attraktivität seiner Sommerakademie bewahren will, muss er sich schon umschauen. Im letzten Jahr hatte er immerhin den Posaunisten und Komponisten Vinko Globokar und den amerikanischen Flötisten Robert Dick zu Gast. Dass Jane Manning gleich beide Male eingeladen war, ist vielleicht ein Mal zuviel. Finnische Musiker empfehlen Tiensuu, für das nächste Jahr Stockhausen einzuladen, aber er bestätigt das nicht und hüllt sich auch sonst in Schweigen. Zweifellos wäre das ein schwieriges Unterfangen, den Kürtener Meister zu gewinnen, und Kurse für Flöte, Klavier, Bassklarinette und Bassetthorn wären damit auch schon eingerichtet und besetzt. Lassen wir uns überraschen.