MusikTexte 6 – Oktober 1984, 62

„Ich lerne langsam, auf mich selbst zu achten“

Zum fünften Band der „Writings“ von John Cage

von Gisela Gronemeyer

„Eine Art des Schreibens finden, die von Ideen herkommt, nicht über sie handelt, sondern sie produziert“ – so beschreibt John Cage sein Verfahren beim Schreiben seiner „Lectures and Writings“, die er in Buchform in der Wesleyan University Press ediert. Den Titel des fünften und letzten Bands „X“ hat Cage – wie zuvor bei „M“ – gefunden, indem er das Alphabet Zufallsoperationen unterworfen hat. Er umfasst die „Writings ’79–’82“ und enthält eigentlich fast nur noch Textkompositionen, von denen zwei bereits auch in Hörspielfassungen vorliegen. Seit „Mureau“ von 1974 hat Cage sich intensiv mit Textkomposition befasst, und schon im vorhergehenden Band „Empty Words“ hatte das seinen Niederschlag gefunden.

Hauptstücke von „X“ sind das vierte und fünfte „Writing through Finnegans Wake“ und das „Writing through the Cantos“ von Ezra Pound, Kompositionen, in denen er sich nach bestimmten, vorher genau festgelegten Regeln durch das Werk anderer hindurcharbeitet. Das Stück „James Joyce, Marcel Duchamp, Eric Satie. An Alphabet“ ist dagegen eine Mischung aus fremden und eigenen Texten.

Inhaltlich mit Cage selbst zu tun haben eigentlich nur der Text „Composition in Retrospect“, in dem er die Erfahrungen seines Komponierens – in strengen Mesostics gehalten – zusammenfasst, und die Fortsetzung seines Tagebuchs „How to Improve the World“, in dem er verschiedenste Dinge notiert. Als eine Art roter Faden laufen Geschichten über die alte Aunt Sadie Stahl und politische Bemerkungen über Puerto Rico durch diesen Abschnitt des Tagebuchs. Daneben steht immer wieder Persönliches: „Ich lerne langsam, auf mich selbst zu achten. Das hat lange Zeit gedauert. Mir scheint, wenn ich sterbe, bin ich in perfektem Zustand.“ Besonders die westliche Medizin wird kritisch kommentiert – hat sie doch wenig zur Heilung seiner Arthritis beigetragen. Auch alte Geschichten aus den früheren „Diaries“ kommen wieder vor, so als ob der Autor ganz vergessen hätte, dass er sie schon einmal erwähnt hat. Ein paar einzelne Mesostics, Widmungs-Texte über diesen und jenen, ergänzen den Band.

John Cage, X. Writings ’79–’82, Middletown, Connecticut, Wesleyan University Press, 1984.