MusikTexte 123 – Dezember 2009, 103–104

Cologne reloaded

Johannes Schöllhorn als Leiter des neuen „Instituts für Neue Musik“ der Musikhochschule Köln

von Rainer Nonnenmann

Die Hochschule für Musik und Tanz Köln ist eine der größten Musikausbildungsstätten Europas. Bei künstlerischer Arbeit zählt indes nicht nur schiere Masse, sondern Intensität, Breite, Profil und nicht zuletzt Qualität. Einst Magnet für Studierende aus aller Welt, die bei Bernd Alois Zimmermann, Karlheinz Stockhausen, Hans Werner Henze oder Mauricio Kagel studieren wollten und die große Kölner Freie Musikszene aufbauen halfen, ist die Kompositionsausbildung an der Kölner Hochschule während der letzten Jahre nahezu völlig zum Erliegen gekommen. Mit der Emeritierung von Johannes Fritsch, York Höller, Hans-Ulrich Humpert und Krzysztof Meyer, die hier zwei, gar drei Jahrzehnte lang unterrichteten, wurden mit einem Schlag sämtliche vier Professuren vakant. Schon vorher hatte indes ein Schwund eingesetzt. Immer weniger Studenten kamen nach Köln, und wer hier das ohnmächtig versickernde Komponistenhäuflein erlebte, wechselte schnell woanders hin. So war bereits vor der Auflösung manche Kompositionsklasse auf nur noch zwei Studierende geschrumpft. Im gewachsenen Wettbewerb mit anderen Ausbildungsstätten konnte die Kölner Hochschule offenbar immer weniger mithalten. Allein in Deutschland erwiesen sich die Hochschulen in Berlin, Bremen, Düsseldorf, Freiburg, München und Stuttgart als attraktiver für Studierende, weil dort großteils schon seit Längerem spezielle Institute für neue Musik existierten, mit oft umtriebigeren oder namhafteren Lehrerpersönlichkeiten sowie besseren Proben- und Aufführungsmöglichkeiten.

Abgesehen von der verschärften nationalen und internationalen Konkurrenz war der Niedergang der neuen Musik an der Kölner Hochschule selbst verschuldet. Während zweier Amtszeiten betrieb Rektor Josef Protschka bis Anfang 2009 eine gegenüber der neuen Musik regelrecht feindliche Ausschreibungs- und Berufungspolitik. Der verdiente Operntenor, Mozart- und Liedinterpret schien seine Schuldigkeit für die neue Musik damit für abgetan zu halten, dass er einst als zehnjähriger Knabe die Tonbandaufnahmen für Karlheinz Stockhausens elektroakustisches Meisterwerk „Gesang der Jünglinge“ gesungen und improvisiert hatte. Nun ließ er nur zögerlich zwei der vier Kompositionsprofessuren wieder ausschreiben. Und bei Neuanstellungen von Gesangs- und Instrumentallehrern legte er keinen Wert auf Erfahrungen der Kandidaten mit neuer Musik, die auf die­se Weise schleichend den Rückhalt unter den Lehrern und Studierenden verlor. Dabei hatten in Köln einst führende Interpreten wie Siegfried Palm, Vinko Globokar, Christoph Caskel, Aloys Kontarsky und Saschko Gawriloff selbstverständlich auch die neueste Musik ihrer Zeit unterrichtet. Erfreuliche Ausnahmen bildeten in letzter Zeit immerhin die Klassen für Klavier (Pierre-Laurent Aimard), Improvisation (Paulo Alvares), Chor und Orchesterleitung (Marcus Creed), Ensemblespiel (David Smeyers), Harfe und Kammermusik (Han-An Lui) und Schlagzeug (Carlos Tarcha).

Der einschneidende Generationswechsel an der Kölner Hochschule bietet nun die Chance, die neue Musik wieder vorteilhafter zu positionieren. Dank tatkräftiger Unterstützung durch den neuen Rektor Reiner Schuhenn, Professor für Chor- und Orchesterleitung, konnte im Frühjahr 2009 ein „Institut für Neue Musik“ gegründet werden. Nachdem Johan­nes Fritsch 1975 für einige Monate als Gastkomponist am „Center for music experiment“ der University of California at San Diego in La Jolla das dortige Institut mit eigenen Räumen, Bibliothek, Sekretariat und Aufnahmestudios kennen und schätzen gelernt hatte, hielt er nach seiner Rückkehr in der Kölner Hochschule einen Vortrag über die Notwendigkeit und Möglichkeit, auch hier ein derartiges Institut zu gründen. Worauf Fritsch mit einem für Köln ausgearbeiteten Konzept immer wieder hingewiesen hat, wird nun in veränderter Form rea­lisiert.

2007 konnte mit Michael Beil die Professur für Elektronische Komposition samt Leitung des Elektronischen Studios der Hochschule wiederbesetzt werden. Zum Wintersemester 2009/2010 übernahm Johannes Schöllhorn eine Professur für Komposition und zugleich die Leitung des neuen Instituts. Der 1962 in Murnau (Allgäu) geborene Komponist hat bei Klaus Huber, Emmanuel Nunes und Mathias Spahlinger in Freiburg studiert. In Köln findet er ein formell fertiges Institut vor, mit Vorstand, Beirat, satzungsrechtlicher Verankerung im Fachbereich 1 der Hochschule, einem vorläufigen Jahresetat von zwanzigtausend Euro und einer so bald als möglich zu besetzenden Geschäftsführerstelle. Schöllhorn hat an der Hochschule in Hannover seit 2001 als Kompositionsprofessor gelehrt und 2003 ein solches Institut ins Leben gerufen und geleitet.

„In Köln noch einmal neu anzufangen hat mich gereizt, weil es hier einen wirklichen Neuanfang gibt, den ich aber nicht alleine zu stemmen habe, weil hier Strukturen schon bestehen oder mit der Gründung des Instituts neu geschaffen wurden. ... In Köln gibt es Kollegen, mit denen ich in Teamarbeit etwas aufbauen und entwickeln kann. Ich habe gespürt, dass es hier eine Aufbruchstimmung in verschiedenen Bereichen gibt ... Ich fange also nicht bei Null an.“

Seit einem Jahr ziehen an der Kölner Hochschule wieder mehr Kräfte am Strang der neuen Musik. Nachdem Rebecca Saunders hier im Winter- und Sommersemester 2008/2009 einen Lehrauftrag für Komposition hatte, wurden jetzt Lehraufträge für Komposition an Markus Hechtle und neue Kammermusik an Barbara Maurer vom ensemble recherche vergeben. Vor allem Dank der nahezu komplett von Hannover nach Köln gewechselten Kompositionsklasse von Johannes Schöllhorn gibt es nun an der Kölner Hochschule auf einen Schlag wieder zwanzig Kompositionsstudenten. Zu deren Vorteil soll das neue Institut für Neue Musik laut Schöllhorn in die Hochschule hinein und zugleich hinaus wirken: „Ein Institut, das nur für den Hochschulrahmen existiert, kann man eigentlich vergessen. Hochschulen dürfen weder nur um sich selbst kreisen noch nur auf ihre Außenwirkung schauen. Beides muss vernünftig miteinander verbunden werden.“ So sollen beispielsweise Kompositionsstudenten Gelegenheit bekommen, außerhalb der Hochschule ihre Werke aufzuführen, wodurch zugleich auch die Musikstudenten, die diese Werke spielen, Erfahrungen mit dem regu­lären Konzertbetrieb außerhalb der Hochschule machen. Das passiert vereinzelt zwar schon, will Schöllhorn aber noch verstärken. Er versteht das Institut als eine Möglichkeit, Kräfte auf neue Weise zu bündeln und die Kompositions­abteilung mit den Interpreten, Musikwissenschaftlern und Musikpädagogen an der Hochschule zusammenzubringen, um gemeinsam Ideen zu entwickeln und mit einer größeren Außenwirkung auch Leute von außerhalb auf die Hochschule aufmerksam zu machen.

Vor allem geht es dem neuen Leiter und Kompositionslehrer um die Ausbildung von Komponisten: „Das Ziel ist keine bestimmte Weise des Komponierens, sondern eine Ausbildung, die jedem Studenten auf seine Weise gerecht wird. Statt einer bestimmten ästhetischen Ausrichtung gibt es ganz verschiedene Richtungen. Zentral aber ist, dass bei aller Verschiedenheit auf möglichst hohem und vielfältigem Niveau komponiert werden soll.“ Schöllhorn möchte mit dem Institut die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die junge Generation ihre Art von Musik erproben kann, Fehler machen und Dinge entdecken kann, von denen ihre Lehrer keine Ahnung haben, was das sein könnte: „Die Jungen sollen uns überraschen. Wenn wir das nicht schaffen, dann verdient diese Einrichtung vielleicht den Namen Institut, aber auf gar keinen Fall den Namen Neue Musik.“