MusikTexte 136 – Februar 2013, 88–89

Umfangreiche CD-Dokumentation

Feedback Studio Reihe

von Rainer Nonnenmann

Sie waren das Ensemblespiel im Schatten des übermächtigen Meisters Karlheinz Stockhausen müde, als die drei Komponisten-Performer Johannes Fritsch, Rolf Gehlhaar und David Johnson 1970 in einem Hinterhaus des Belgischen Viertels in Köln ihre eigene kleine Firma „Feedback Studio“ gründeten. Als Dienstleistungen boten sie: „Erforschung musikalischer Kommunikationsformen, akustische Umweltgestaltung, Entwicklung öffentlicher Musikräume, Sound Service, Veranstaltungen und Konzerte mit elek­tronischer und elektronisch-instrumentaler Musik, Produktion von Tonbandkompositionen, Musik für zu Hause, Radio, Film, Fernsehen, Theater, Museum.“ Unter gleichem Namen hinzu kamen wenig später der erste deutsche Komponistenverlag, die Zeitschrift „Feedback Papers“ und die Konzertreihe „Hinterhausmusiken“, bei der zahllose Kölner und internationale Künstler verschiedener Sparten gastierten.

Bald übernahm Johannes Fritsch das Feedback Studio ganz allein. Fortan betrieb der langjährige Professor für Komposition an der Kölner Musikhochschule und Mitglied im Gründungsvorstand der Kölner Gesellschaft für neue Musik diese – so seine eigene Charakterisierung – „merkwürdige Verschränkung von Avantgarde einerseits und Flickschusterbetrieb andererseits“ im Alleingang, bis zur Auflösung 2009. Im Jahr darauf starb Fritsch. Doch seine Musik lebt weiter – nicht zuletzt dank der seit 2003 im Düsseldorfer Label Cybele erscheinenden und seit 2006 von der Kunststiftung NRW geförderten „Feedback Studio Reihe“, in der auch Aufnahmen von Werken anderer im Feedback Studio Verlag publizierten Komponisten veröffentlicht sind. Jetzt fand diese Edition ihr vorläufiges Ende mit der Gesamtaufnahme von Fritschs „Damals“-Triptychon (1992) auf CD 11. Wer die komplette CD-Reihe erwirbt, erhält vom Label die Möglichkeit, die inzwischen nur noch online verfügbaren CDs 1 und 2 in FLAC-Qualität von dessen Homepage www.cybele.de gratis herunterzuladen.

Ein besonderes Dokument dieser Reihe ist die Doppel-CD 4/5 mit sieben verschiedenen Einspielungen von Fritschs „Violectra“. Der Komponist und Bratschist hat sich dieses Stück förmlich auf den Leib geschrieben und zwischen der Premiere 1971 bis in seine letzten Lebensjahren immer wieder in aller Welt gespielt. Alte Fiddle-Tradition wird hier ins Experimentelle fortgeschrieben mit erweiterten Spieltechniken und live-elek­tronischer Klangumwandlung. Fritsch spielt auf einer sechssaitigen Viola d’amore, deren ebenso viele Resonanzsaiten für besonders obertonreiche Klänge sorgen. Über Mikrophon werden diese in einen Synthesizer gespeist, dort von einem zweiten Spieler ringmoduliert und zeitgleich oder wahlweise auch zeitversetzt über Lautsprecher wiedergegeben. Bis auf die Studioproduktion von 1971 sind alle anderen sechs Aufnahmen Live-Mitschnitte aus fast dreißig Jahren.

Aufgrund des offenen Charakters dieser „kontrollierten Improvisation“ unterscheiden sich die Einspielungen stark in Verlaufsform, Klanglichkeit, Energetik und Dauer, die nach der physischen Kondition des durch Permanent-Tremolo strapazierten Spielers variiert. So erscheint die Studioaufnahme von 1971 als repetitiv-minimalistische Performance mit aggressiver Motorik. Der 1980 entstandene Mitschnitt einer Kölner „Hinterhausmusik“ ist von teils klirrender Schärfe. Die New Yorker Version von 1993 zeigt sirrende Multiplikationseffekte und die Stockholmer Fassung aus dem Jahr 1999 eine geradezu gläserne Durchsichtigkeit und schattenhafte Zerbrechlichkeit der Klänge. Auf der 1987 in Osaka gemachten Aufnahme vervielfacht sich das Instrument mittels Delay- und Überlagerungseffekten zum schwirren­den Streichorchester.

Die für „Violectra“ und andere Fritschiana der sechziger und siebziger Jahre zentrale Idee des Feedbacks – im Sinne von musikalisch-interaktiver Rückkopplung und Resonanz, die dem Studio den Namen gab – bestimmt auch eine Reihe anderer im Feedback Studio Verlag erschienener Kompositionen auf CD 3. Ein genuines Feedback-Werk ist Siegfried ­Koepfs Raum-Klang-Installation „Bassmaschine“, bei der zwei Tonbandgeräte einen Faden über je eine Saite zweier E-Bassgitarren ziehen, so dass es sowohl zu gesteuerten Rückkopplungseffekten zwischen den verstärkten Gitarrentönen und den frei mitschwingenden übrigen Saiten kommt als auch zu dröhnenden Resonanzeffekten mit den Eigenfrequenzen des Raums. Faszinierend ist auch Harald Muenz’ „writing“, zu dessen jeweils aktueller Aufführung der Mitschnitt der vorangegangenen Aufführung zwanzig Sekunden versetzt zugespielt wird, so dass sich die vorige Wiedergabe in die aktuelle einschreibt und das Stück zugleich seine eigene Aufführungsgeschichte dokumentiert.

CD 6 enthält zwei jeweils vierzigminütige Violoncello-Solowerke von Michael von Biel, die dieser 1970/71 im Feedback Studio selbst eingespielt hat. „Deutsche Landschaften“ und „Cellokonzert“ sind personale Performance-Werke, die von der Lust an experimentellen Spieltechniken ebenso leben wie von minimalistisch auf der Stelle kreisenden Aktionsschleifen. CD 7 präsentiert mit Fritschs „Hochtöner“ von 1974 ein typisches Beispiel der Feedback-Ästhetik dieser Jahre, eingespielt von den drei Feedback-Gründern: Fritsch am Synthesizer, Johnson an der Flöte und Gehlhaar am Schlagzeug. Wie Fritschs spätere Triowerke „Trio 1977“ und „RM 96“ werden die Instrumentalklänge ringmoduliert. Unter hohem elektronischen Pfeifen und Sirren erklingen Eigen-, Fremd- und Stilzitate und werden zudem per Tonband konkrete Klänge, Tierlaute, Maschinengeräusche, Unterhaltungsmusik und Sound­tracks aus Filmen zugespielt, was insgesamt an den Stil- und Materialpluralismus von Fritschs Kompositionslehrer Bernd Alois Zimmermann erinnert.

CD 8 bietet Klavierwerke von Klarenz Barlow. Dessen 1974 begonnener Klavierzyklus „Ludus ragalis“ verbindet indische Ragas mit europäischen Kirchentonarten, barocken Formen und Satztechniken zu dreizehn im Quintenzirkel absteigenden Präludien und Fugen. Deren vordergründig akademisch-historisierende Themenbildungen und Kontrapunktik durchkreuzen eigenwillige Wendungen und Kadenzen, die Hermann Kretzschmar vom Ensemble Modern mit eben jener lapidaren Klarheit spielt, die diese ebenso vertraute wie fremde Polyphonie verlangt. Das halbstündige „Çogluotobüsisletmesi“ des 1945 in Kalkutta als Kind der englischsprachigen indischen Minderheit geborenen Komponisten und ehemaligen Zimmermann-Schülers basiert auf statistisch wechselnden Dichte- und Dissonanzgraden zwischen den Polen tonal-atonal, metrisch-ametrisch, ereignisreich-ereignisarm, laut-leise. Da sich die Texturen zuweilen extrem verdichten, erstellte Barlow eine Version für vier Klaviere, die 2006 im DLF Köln eingespielt wurde.

CD 9 versammelt frühe Kammermusik Fritschs, darunter die von einem Ensemble der Kölner Hochschule 1962 uraufgeführten „Bestandteile des Vorüber“ auf computergenerierte Texte von Max Bense, die passagenweise happeningartige Qualitäten entfalten. Noch während des Studiums entstanden 1964 auch Fritschs „Ikonen“ für drei Klaviere, die mit Zitaten von Bach, Mozart, Beethoven und Mahler den Einfluss von Zimmermanns postmoderner Idee der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen erkennen lassen. „Modulation I“ schließlich ist Fritschs erstes Werk, bei dem in Anlehnung an die Idee der „Kugelgestalt der Zeit“ seines Lehrers der Inhalt von Musik durch zitatartige Anleihen – vor allem bei der Zweiten Wiener Schule – zentrale Bedeutung gewinnt. Zugleich ist die historische Einspielung dieses Stücks ein Dokument Kölner Interpreten- und Hochschulgeschichte. Mitwirkende sind Franz Joseph Maier (Violine), Fritsch (Viola), Siegfried Palm (Violoncello), Paul Breuer (Kontrabass) und Bernhard Kontarsky (Klavier).

Aus der Zeit vor dem Feedback Studio stammen auch die meisten von Fritschs live-elektronischen Arbeiten auf CD 10. Hinsichtlich Konzeption und Technik ein Vorgängerwerk zu „Violectra“ ist das bereits 1961 entstandene „Duett für Bratsche“ – Fritschs erklärten „Opus 1“ –, in dem er auf der Bratsche mit sich selbst per Tonbandzuspielungen im Duett spielt. In der „Partita“ für Viola, Kontaktmikrophone, Magnetophone, Filter und Regler von 1965/66 wird – ähnlich wie in Stockhausens „Mikrophonie I“ von 1965 – das Bratschenspiel von drei weiteren Spielern dynamisch und klanglich verwandelt, kanonisch überlagert und über einen Kranz von acht Lautsprechern im Raum projiziert. Bei zahlreichen Aufführungen des Stücks in halb Europa agierten – neben Fritsch als Bratschist – an den Reglern weitere Mitglieder des damaligen Stockhausen-Ensembles: Rolf Gehlhaar, Alfred Alings und Karlheinz Stockhausen, dem „Partita“ auch gewidmet ist. Am Anfang von Fritschs später durch die Musik und Kultur Ostasiens geprägter Schaffensphase steht 1980 die rituell-meditative „Ode“ für ostasiatische Schlagzeuginstrumente – gespielt von Michael W. Ranta – und Elektronik auf eine rezitierte Hymne von Konfuzius, gesprochen von Dieter Wernecke.

Die jetzt posthum erschienene letzte CD 11 der „Feedback Studio Reihe“ enthält mit Fritschs Triptychon „Damals“ von 1992 drei Werke von Ende und Tod. In „Das bittersüße Büchlein“ zaubert die Oboe mit weit ausgesungenen Kantilenen eine sanft todestrunkene Klangwelt wie im „Abschied“ von Mahlers „Lied von der Erde“. Fritsch kommt der Welt der neuen Musik hier jedoch nur scheinbar abhanden, da er Akkordeon und Kontrabass mit wildem Fauchen beziehungsweise Bartók-Pizzikati empört dazwischenfahren lässt. Ähnlich wie im zwanzig Jahre älteren „Madrigal triste“ auf CD 10, wo der Oboist (Lothar Faber) den Tonfall der Lyrik Charles Baudelaires in­strumental nachzuzeichnen hat, übersetzt in „Damals“ ein Organist parallel zum deklamierten gleichnamigen Theaterstück von Samuel Beckett alle Silben quasi phonographisch in Klang.

Sämtliche Aufnahmen der „Feedback Studio Reihe“ sind – einschließlich der ältesten aus den sechziger Jahren – technisch von bester Qualität, ausgenommen die leicht verrauschte „Ode“ auf CD 10. Damit liefert die elfteilige Edition ein umfangreiches Hörporträt des Komponisten, Bratschisten und Studioleiters Johannes Fritsch mit Werken aus der Zeit von 1961 bis 1996. Zugleich liefert sie mit den anderen, durchweg ausgezeichneten Interpreten sowie den Porträt-CDs von Barlow und von Biel eine hörenswerte Dokumentation der Aufführungspraxis neuer Musik nach 1960.

Feedback Studio Reihe, CD 4 bis 11: Johannes Fritsch, Violectra, Michael von Biel, Cello­musiken 1970/1971, Johannes Fritsch, Drei Trios, Klarenz Barlow, Klavierwerke, Johannes Fritsch, Frühe Kammermusik, Johannes Fritsch, Live-elektronische Musik, Johannes Fritsch, Damals-Triptychon, Düsseldorf: Cybele, 2003–2011.