MusikTexte 170 – August 2021, 73–77

Wider den Trend

Die Berliner Edition Juliane Klein

von Florian Neuner

Die Geschichte der Edition Juliane Klein begann 1999 auf dem Sozialamt in Berlin-Prenzlauer Berg. Am Beginn dieses Unternehmens stand nicht der Wunsch einer freischaffenden Komponistin, unbedingt auch verlegerisch tätig sein zu wollen, sondern eine Notlage. Was sich aber daraus entwickelte, ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte – unglaublich nicht zuletzt deshalb, weil sich ­eine solche Verlagsgründung schon damals gegen den Trend der Zeit richtete. Denn im Zeitalter der Digitalisierung gelten viele Verlage als Auslaufmodelle, nehmen nicht wenige Komponisten die Distribution ihrer Musik lieber selbst in die Hand.

Der erste Impuls, einen Eigenverlag zu gründen, kam aus der Situation, dass ich damals arbeitslos war, Sozialhilfeempfängerin, was heute Hartz IV ist. Gut, ein freischaffender Komponist befindet sich öfter mal in diesem Status, aber nicht unbedingt von Amts wegen. Ich war das aber, und da gab es nur die Möglichkeit, mich selbständig zu machen, um aus diesem System Hartz IV oder Sozialhilfe herauszukommen. Man hat mich beim Amt gefragt, ob ich denn nicht irgendetwas machen könne, was ich als selbständige Tätigkeit deklariere. Ich bin den ganzen Tag selbständig: Wenn ich Noten schreibe, bin ich selbständig, wenn ich kopiere, bin ich selbständig – ich bin immer selbständig. Das ist doch schon ein Unternehmen! Und diese Chance hat sich mir eröffnet. Der Amtsleiter suchte mir einen Paragraphen heraus, der anderthalb A4-Zeilen lang war und den noch nie jemand auf dem Sozialamt im Prenzlauer Berg in Anspruch genommen hatte, und sagte: „Wenn Sie sich selbständig machen, kommen Sie mit dem Paragraphen hier raus.“

IST-Situation:
1.Ich habe Ideen, Zeit und Energie.
2.Kein Geld.
3.Meine Tätigkeit als Komponistin möchte ich
unein­geschränkt weiterführen.

So resümiert Juliane Klein die Situation bei der Ver­lagsgründung1 und kam dabei zu folgendem Schluss:

1.Alles das, was ich für den Verlag tue, wird nicht bezahlt und darf auch keine Kosten verursachen.
2.Es wird nur das an Geld investiert und ausgegeben, was wirklich da ist (keinerlei Kredite und Schulden, nie).
3.Die Tätigkeiten des Verlages und der Komponistin ­werden konsequent getrennt.
Der Weg:
1. Verlags-Tätigkeiten, die von Mitarbeitern ausgeführt ­werden, können nur mit „Dingen“ entlohnt werden, die nichts kosten (Erfahrung, Freude, neuer Blickwinkel, ­interessante Ideen, etwas miteinander gestalten etc).
2.Mitarbeiter kann ich nur finden, wenn diese die Idee
und die Vorgehensweise verstehen und für den eigenen Lebensweg als sinnvoll anerkennen.
3.Es gibt keine örtlich bzw. fachlich zwingenden ­Voraussetzungen, um für den Verlag tätig zu sein.

Ich habe damals keine Marktanalyse gemacht: Wo bin ich besser als andere, gegen wen kann ich meine Position behaupten? Welche Gefahren lauern auf dem Markt, weil im großen Becken schon die Haifische schwimmen, und – wenn ich da als kleiner, schutzloser Fisch anfange – wer beißt mich da weg? Ich habe solche Überlegungen bewusst zur Seite geschoben und gesagt: „Jeder wird den Platz finden, den er braucht, ohne dass es Konkurrenz oder Gegnerschaft gibt.“

Als das zehnjährige Bestehen der Edition Juliane Klein 2009 beim Ultraschall-Festival in Berlin unter anderem mit einer Aufführung von Juliane Kleins Streichquartett „Geschwindigkeit“ gefeiert wurde, konnte sie bereits auf eine bemerkenswerte Entwicklung von einem Selbsthilfe-Unternehmen zu einem Verlag zurückblicken, der das Gesamtwerk zum Beispiel von Peter Gahn, Michael Hirsch, Péter Közseghy und Joanna Wozny betreute.

Zuerst habe ich tatsächlich nur meine eigenen Werke verlegt und bin auf nichts anderes gekommen, weil ich auch keinerlei Fachkenntnisse vom Verlagsgeschäft hatte, wirklich nicht. Deswegen kam es mir auch gar nicht in den Sinn, diese Verantwortung für Kollegen zu übernehmen und sie in der Branche zu etablieren. Doch dann kam Hermann Keller, der mich unterrichtet hat, als ich elf Jahre alt war – das ist meine erste markante Erinnerung daran, was neue Musik kann, und was auch ich in der neuen Musik leisten könnte. Keller sagte, er sei bei Peters Leipzig komplett rausgeflogen, das heißt: Sie gaben ihm alle seine Werke zurück, und er hatte keinen Verlag mehr, stand jetzt völlig ohne da. Mich hielte er für die geeignete Person, seine Werke zu verlegen. Und das hatte eine moralische Komponente für mich: Jemandem, der in meinem Leben ein Wegweiser war, also von dem ich wirklich sagen kann, dass er mir Türen aufgemacht und gezeigt hat, dass ich ein Rückgrat habe, dem kann ich jetzt nicht „nein“ sagen. Das war einfach nicht möglich. Und so habe ich „ja“ gesagt – ohne zu wissen, was da auf mich zukam.

Ein Verlag für Komponisten

Bei einem gleichaltrigen Kollegen hätte ich noch sagen können: „Hab ein bisschen Geduld, das wird sich zeigen.“ Hermann Keller gegenüber war das für mich kein Argument, denn ihm durfte ich nur volle Qualität anbieten, Fachqualität des Verlegens. Und deshalb habe ich mir diese Kenntnisse in null Komma nichts angeeignet und bin sofort, nachdem ich Kellers Werke in Verlag genommen hatte, Mitglied im Bühnenverlegerverband geworden – mit einer einzigen Oper. Das war eine Kuriosität! Danach bin ich auch sofort Mitglied im deutschen Musikverlegerverband geworden und konnte dadurch dieses Fachwissen erwerben. Dann war klar: Jetzt kommen andere Komponisten dazu, zunächst Michael Hirsch.

Nachdem Juliane Kleins Entscheidung gefallen war, das Werk von Hermann Keller zu betreuen, war klar: Sie verlegt keine einzelnen Werke, sondern betreut nur das Gesamtwerk von Komponisten, mit denen sie Exklusivverträge abschließt. So verlegt sie auch das Gesamtwerk von Stephan Winkler, den sie seit ihrer Studienzeit an der Berliner Hanns-Eisler-Hochschule kennt. Er führt aus:

Ich muss zugeben, dass ich erst sehr skeptisch war, weil ich mich fragte: Welche Rolle spielt heute eigentlich ein Verlag? Bringt es überhaupt etwas, in einen Verlag zu gehen und noch dazu in einen so kleinen? Wie wahrscheinlich viele junge Komponisten habe ich immer davon geträumt, meinen Namen einmal auf den Titelseiten berühmter Verlagshäuser zu sehen. Im Gespräch mit Juliane ist mir dann klarer geworden: Da gibt es ein interessantes, akzeptables Angebot.

Natürlich kann ich den Vergleich mit den großen Verlagshäusern nur aus der Beobachtung, nicht aus persönlicher Erfahrung anstellen. Ich glaube aber, dass solch ein kleiner Verlag ein ganz anderes Verhältnis zu seinen Komponisten pflegen kann. Es ist kein Großbetrieb, in dem man irgendeine kleine Nummer ist, die halt auch noch mit einem Stück oder zweien verlegt wird. Das Besondere an diesem Verlag ist natürlich vor allen Dingen, dass er es zur Grundbedingung macht, das Gesamtwerk zu verlegen. Das hat erstmal etwas Befremdliches, wenn man so ein Angebot angetragen bekommt, aber natürlich auch etwas Reizvolles, und beschreibt auch, warum ich es als sehr angenehm empfinde, diesem Verlag anzugehören und von ihm vertreten zu werden. Das hat mit Archivierung zu tun, mit dem Gefühl, dass eine Art Archiv meiner Arbeit angelegt wird, dass sie in guten Händen ist.

Reale und fiktive, bezahlte und unbezahlte Mitarbeiter

Gesehen habe ich mich immer als Komponistin. Das war mein Hauptberuf, und deswegen hatte ich als Verlegerin immer einen Mitarbeiter, von Anfang an. Zuerst einen Mitarbeiter – auch ein Kuriosum –, der ein Pseudonym von mir war, genannt: Martin Tietz. Der war ein sehr gewissenhafter, bürokratischer „Mitarbeiter“, der leider nicht in der Lage war, am Telefon adäquat zu reagieren. Deswegen hat „Herr Martin Tietz“ bei mir nur die Büroarbeiten machen können. Und aus diesem Pseudonym ist dann sehr schnell ein echter Mitarbeiter geworden: Heiko Ehlers, der neben seinem Studium im Verlag arbeitete und mit „Branchen-Know-how“ entlohnt wurde, nicht mit Geld.

So erinnert sich Juliane Klein an die Anfänge ihrer Edition. Auch wenn der Verlag noch immer ihren Namen trägt, wird er seit fünfzehn Jahren von einer anderen Persönlichkeit geprägt. Wer heute die Räume der Edition im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg aufsucht, wird dort von Mathias Lehmann empfangen.

Mathias Lehmann kam ins Spiel, als ich wusste, dass ich jetzt jemanden brauche, der über die Fachkenntnisse verfügt, die ich auch habe. Also nicht jemand, der bloß zuarbeitet, sondern jemand, der mitarbeitet, der den Verlag wirklich eins zu eins vertreten kann. Und dann hatte ich schon die Idee, dass ich die Leitung gänzlich abgebe. Wenn ich diesen Verlag einem anderen „aufbürde“, dann nur, wenn er auch das Recht hat, den Verlag zu lenken und zu leiten, also sich auch selbst etwas aufbauen kann.

Mathias Lehmann erinnert sich:

Das war im Jahr 2006 und ergab sich, wie meistens bei solchen Sachen, über eine Verkettung von glücklichen Zufällen. Ich hatte in Hamburg mein Musikwissenschaftsstudium abgeschlossen, arbeitete freiberuflich für den Norddeutschen Rundfunk und suchte etwas, gerne im Bereich der zeitgenössischen Musik, wo ich mich in verantwortungsvoller Position entwickeln und etwas gestalten kann. Über einen Studienfreund, der bei den Donaueschinger Musiktagen ein Konzert von Juliane Klein betreut hatte, erfuhr ich, dass sie für ihren Verlag einen Geschäftsführer suchte. Und dann habe ich sie angeschrieben und bin zu einem ganz klassischen Vorstellungsgespräch gekommen, bei dem wir uns sehr lange über alles Mögliche unterhalten haben, auch ein bisschen über den Verlag, aber insgesamt über Musik. Hinterher war uns beiden klar, dass es funktionieren könnte und dass ich es gerne machen würde. Zwar wäre noch einiges an Aufbauarbeit nötig, um den Musikverlag so groß zu machen, dass er eine volle Stelle finanzieren könnte. Aber wir waren beide guter Dinge, dass das Potential vorhanden ist, dass das Konzept trägt. Und so habe ich angefangen.

Lehmann hat damals eine ungewöhnliche Vereinbarung mit Juliane Klein getroffen.

Ich glaube, wir haben für die Rechtsform eine sehr kluge Konstruktion gefunden. Der Verlag ist seit 2007 ­eine Kommanditgesellschaft (KG) mit zwei Gesellschaftern, nämlich Juliane Klein und mir, und uns gehören jeweils genau fünfzig Prozent dieses Verlags. In der Satzung steht, dass grundlegende Entscheidungen mehrheitlich getroffen werden müssen.

Dazu Juliane Klein:

Wenn Mathias Lehmann und ich uns nicht einigen, gibt es keine Entscheidung. Bei der Unternehmensberatung haben sie mir gesagt: „Dann können Sie Ihre Firma jetzt schon schließen. Der Tag, an dem Sie sich nicht einigen können und auch nicht wollen, kommt schneller, als Sie denken.“ Und wir haben gesagt: „Ok, dann hätten wir ein Problem, und doch werden wir das ganz sicher lösen.“ Ich dachte: Eine Beteiligung 51 : 49 löst das Problem auch nicht. Da ist Streit erst recht vorprogrammiert. Deswegen war 50 : 50 die komplett richtige (und eine produktive) Entscheidung. Ich kann das nur jedem Unternehmer empfehlen!

Der 1970 geborene, in Berlin lebende Komponist Sebastian Stier resümiert:

2006 ist Mathias Lehmann auf mich zugekommen, weil er eine Uraufführung von mir in Witten gehört hatte und wohl wusste, dass ich noch keinen Verleger hatte. Dann sind wir ins Gespräch gekommen. Er hat mich ziemlich offensiv gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, meine Stücke in seinen Verlag zu geben. Ich habe dann eine Weile überlegt. Die Idee, einen Verleger zu haben, fand ich schon gut. Zum damaligen Zeitpunkt war ich aber noch ein bisschen skeptisch, ob so ein kleiner, neuer Verlag das Richtige ist. Im Nachhinein muss ich sagen: Diese Entscheidung war super.

Ein Verlag, der den Namen einer Komponistin trägt? Das fand Stier zumindest gewöhnungsbedürftig.

Das hat mich einen kurzen Moment gestört, weil natürlich die Überlegung war: Wird damit versucht, eine Art Schule zu etablieren? Dann habe ich aber schnell verstanden, dass das überhaupt nicht beabsichtigt war. Das Verlagsprogramm zeigt ja, dass wirklich sehr unterschiedliche Handschriften ver­treten sind.

Die ästhetische Bandbreite der von der Edition Juliane Klein verlegten Komponistinnen und Komponisten ist in der Tat groß und reicht von Leopold Hurt, Gordon Kampe, Ulrich Kreppein, Stefan Pohlit, Hannes Seidl und Hans Thomalla bis zu Annesley Black, Sara Glojnarić und Elnaz Seyedi. Die Mehrzahl gehört der Generation der in den Siebzigerjahren Geborenen an. Sie haben sich in der Welt der neuen Musik bereits einen Namen gemacht, viele von ihnen lehren an Musikhochschulen. Gemeinsam ist diesen recht unterschiedlichen Persönlichkeiten zumindest, dass ein erheblicher Teil ihrer Arbeit aus notierter Musik besteht, die von Instrumentalistinnen und Vokalisten zur Aufführung gebracht wird. Das ist schließlich Voraussetzung dafür, dass ein Verlag tätig werden kann – „klassische“ neue Musik, wenn man so möchte.

Sebastian Stier:

Ich bin ein Bleistift-Fetischist und ein Papier-Fetischist. Ich schreibe sogar meine Noten relativ sauber. Ich würde sagen, man könnte daraus fast spielen. Das ist mir irgendwie wichtig, weil auch die Skizze ein elementarer Bestandteil meiner Arbeit ist. Entwürfe oder Versionen entwerfen, das geht einfach mit der Hand immer noch schneller als mit dem Notensatzprogramm. Der Verlag verwendet auch schönes Papier, das eine tolle Haptik hat und eben nicht blendend weiß ist.

Besonders schätzt Stier an der Edition Juliane Klein, dass sie sich für sein Gesamtwerk zuständig fühlt.

Es ist sehr schön, dass man nicht betteln muss: Bitte verlegt dieses Stück, das ist mir persönlich sehr wichtig! Es wird einmal gespielt, dann aber nie wieder. Das wäre ja für große Verlage immer ein Argument, die Finger davonzulassen. Diese Frage stellt sich aber gar nicht, und das ist sehr angenehm.

Dass ein solches Verhältnis auch scheitern kann, berichtet Mathias Lehmann:

Unser Wunsch ist eine langfristige Zusammenarbeit. Aber es gibt natürlich immer mal Fälle, wo es, aus welchen Gründen auch immer, nicht funktioniert. In einem Fall war es eine jüngere polnische Komponistin, Jagoda Szmytka, die immer mehr in den Bereich zwischen Installation, auch bildender Kunst, Performance ging und in dieser Phase kaum noch Partituren, Noten geschrieben hat, sondern sich selber vermarktet hat. Sie hatte das Gefühl, so ein traditionelles Relikt, wie es ein Verlag für sie darstellte, sei nicht förderlich, sondern eher hinderlich, und sie war vom Gegenteil nicht zu überzeugen.

Natürlich kommt es jetzt immer öfter vor, dass Komponistinnen und Komponisten bei der Edition Juliane Klein anklopfen, die sich dort gerne verlegt sehen würden. Lehmann begibt sich aber auch aktiv auf die Suche. Einer der jüngeren Neuzugänge ist die 1991 in Kroatien geborene, seit 2013 in Stuttgart lebende Komponistin Sara Glojnarić.

Das ging sogar verhältnismäßig schnell. Ich bin letzten Sommer auf sie aufmerksam geworden, als sie 2018 in Darmstadt den Kranichsteiner Musikpreis für elektronische Musik bekommen hat. Ich kannte sie vorher nicht und fand sie sehr spannend. Und wie das heute so einfach möglich ist, googelt man das, findet Aufnahmen auf YouTube, Sound­cloud und stellt fest: Das klingt sehr aufregend und ist eine Facette, die wir so noch nicht haben. Die Komponistin hatte sich nicht an uns gewandt, sondern wir haben sie angeschrieben. Nachdem sie uns Aufnahmen und Partituren geschickt hatte, kamen wir relativ schnell zu dem Schluss, dass wir Sara Glojnarić persönlich kennenlernen wollten, haben uns Ende des Jahres getroffen und uns lange über ihre Ideen und Ziele unterhalten. Sie ist erst 2018 mit dem Studium fertig geworden, hat aber schon einen sehr klugen, guten Überblick über ihr eigenes Tun und das, was sie will, wie sie sich positioniert, wo sie sich verortet.

Gleichberechtigung

Mich hat sofort angesprochen, dass hier ein Raum geschaffen war, in dem man wirklich gestalten konnte, wo letztlich für jede Idee, jede kreative Möglichkeit, die man sah, die dem Verlag beziehungsweise den verlegten Komponisten zugutekommen könnte, die Möglichkeit da war, es einfach zu tun.

So beschreibt Mathias Lehmann die Situation, die er vorfand, als er 2006 zur Edition Juliane Klein stieß – und kommt auf ein wichtiges Grundprinzip zu sprechen.

Eine Prämisse oder Grundidee der Edition Juliane Klein ist, dass es zwischen den Komponistinnen und Komponisten, die wir verlegen, keine Hierarchien gibt. Wir haben nicht hier die Wichtigen und da die Backlist und auch noch Komponisten, die schon lange im Verlag sind und vielleicht gerade ein schlechtes Jahr haben oder insgesamt weniger gespielt werden als andere. Wir wollen nicht, dass die aus dem Fokus geraten und nicht mehr so betreut werden wie die anderen, sondern die Idee ist schon, dass alle gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Wenn man unsere Website anschaut oder unsere Plakate, dann ist es immer wichtig, dass alle darauf präsent sind und auch alle gleich groß, nicht der Komponist XY oben ganz groß und in der Ecke die Liste „und außerdem verlegen wir“. Bei siebzehn Komponisten geht das noch. Wenn man sich überlegt, man hat ein Plakat und da sind hundert Komponistenbilder drauf, kann man sich das eigentlich auch wieder schenken, denn dann ist es nur noch eine Tapete. Wir überlegen natürlich schon seit einiger Zeit, wie man die Idee, alle Komponisten gleichberechtigt nebeneinander, ohne Hierarchie in der Breite darzustellen, in eine Struktur überführen kann, die eben nicht nur sechzehn, siebzehn, achtzehn, neunzehn Komponisten umfasst, wo das noch geht, die aber irgendwann bei über zwanzig an ihre Grenzen stößt, so dass man eine Form finden muss, die den Geist weiterträgt, die das Konzept weiterträgt, aber auf eine größere Ebene projiziert.

Es gibt natürlich auch Leute, die wollen ein Star sein, und sind dann vielleicht bei uns nicht richtig. Wenn jemand sagt: Ich möchte oben stehen, ich möchte im Zentrum stehen, ich möchte mehr Aufmerksamkeit haben als alle anderen, führt solches Verhalten eher dazu, dass wir ihn oder sie nicht verlegen.

Angesichts der allgegenwärtigen Digitalisierung stellt sich verschärft die Frage nach der Notwendigkeit von Verlagen. Viele junge Komponisten sind gar nicht mehr auf der Suche nach einem Verlag und kümmern sich selbst um die Materialherstellung und Distribution. Nicht we­nige der älteren sind frustriert und sehen sich nicht mehr so gut vertreten wie früher, sind doch in den letzten Jahren eine Reihe kleinerer Verlage von größeren Häusern übernommen worden und fristen nun unter dem neuen Dach mitunter ein Schattendasein. Auch der 2014 verstorbene Konrad Boehmer, der sich immer für Autorenrechte eingesetzt hat, reagierte auf seine Weise auf den Musikbetrieb im digitalen Zeitalter und nahm noch in seinen letzten Lebensjahren den Vertrieb seines Gesamtwerks selbst in die Hand. Auf die Frage nach dem Impuls für diesen Schritt antwortete Boehmer:

Der kam in einem Augenblick, wo ich feststellte, dass ich bei einem Verlag saß, der den Eigentümer gewechselt hatte. Dieser Verlag tat nichts, aber auch gar nichts. Und dann ist es so – das ist ja auch im deutschen Urheberrecht so –, wenn irgendwo eine Aufführung stattfindet, die auch noch im Rundfunk gesendet wird, und zwar eine, die der Komponist selber initiiert hat, dann kriegt der Verlag automatisch ein Drittel der Tantie­men. Warum soll ich einem Verlag ein Drittel meiner Tantiemen geben, wenn er nichts für mich tut? Das war meine Frage, und ich habe die Antwort so gewählt, wie ich sie halt gewählt habe. Ich glaube, dass immer mehr junge Komponisten so denken und auch so handeln wie ich. Die Verleger – und es gibt ja noch eine Menge davon – sind ein Betriebsmodell, zumindest für die ernste Musik, das so veraltet ist wie die Postkutsche, in der wir ja auch nicht mehr fahren. Man muss heute, in diesen bewegten Zeiten, auch als Komponist ernster Musik gut hinschauen, wie man seine Business-Modelle so effizient und so flexibel wie möglich einrichtet. Was ich getan habe, ist nur ein Schritt dazu.

Sich bei größeren Besetzungen selbst um die Herstellung der Stimmen kümmern zu müssen, war für Konrad Boehmer kein Gegenargument.

Diese Arbeit muss man als Komponist sowieso leisten. Die meisten Verlage nehmen einen schon gar nicht mehr, wenn man ihnen nicht fertig am Computer erstellte Partituren und Stimmen abliefert, die sie dann nur noch zu fotokopieren brauchen. Nun, das kann ich auch selber. Ich habe einen Computer, da steht alles drin, und fünfhundert Meter von meinem Haus entfernt gibt es einen wunderbaren Copyshop, wo Leute mir helfen, wenn ich irgendwas nicht weiß. Damit ist die Sache erledigt. Und es ist auch unendlich viel billiger, als wenn man dieses Zeug bei Verlagen bestellt.

Stephan Winkler, Professor für Musiktheorie und Komposition an der Barenboim-Said-Akademie Berlin, meint dazu.

Da man die Noten oder die Reinschrift in der Regel nicht mehr per Hand schreibt, hat man sie sowieso im Notensatzprogramm. Daraus Stimmen herzustellen, ist nicht mehr so aufwendig, wie wenn man es per Hand tut. Und insofern liegt es gar nicht unbedingt nahe, dass man dafür einen Zwischenhändler braucht. Man kann seine Noten gut selbst herstellen. Wenn man bei einem Verlag wie Edition Juliane Klein ist, muss man sein Material sogar selbst herstellen, also die PDFs muss man eh anfertigen. Und dann ist es nur die Frage, ob man gerne lange im Copyshop steht, denn einen Großteil meines Komponistendaseins habe ich in Copyshops verbracht, sehr viel Zeit. Da bin ich ganz dankbar, dass ich das jetzt nicht mehr so oft tun muss. Und man muss sich auch um den ganzen Versand nicht kümmern, wenn Anfragen nach Aufführungsmaterialien kommen. Da gibt es dann eben eine Adresse, wo man das bekommen kann. Ich glaube, für junge Komponisten ist das ab dem Moment interessant, wo es zu viel Büroarbeit wird, sich um diese Dinge zu kümmern, auch um den Verleih und das Wieder-Einsammeln von Material.

Auch Sebastian Stier möchte auf die praktischen Vorteile, die ein Verlag bietet, nicht verzichten.

Ich kenne viele Komponisten, die sehr gut ohne Verlag auskommen. Der Vertrieb ist eigentlich ja viel einfacher geworden. Ich persönlich fand die Idee aber immer gut, auch unter dem Gesichtspunkt, dass man eine Stelle hat, wo die Sachen liegen – also nicht nur auf dem heimischen Rechner, sondern tatsächlich auf dem Rechner anderer und dann eben auch in gedruckter Form irgendwo verfügbar sind. Als schönen Nebeneffekt sehe ich auch den Archivgedanken, also von allen Sachen, die veröffentlicht werden, gehen Pflichtexemplare an die Deutsche Bibliothek und an die Landesbibliothek Berlin, soweit ich weiß.

Mathias Lehmann zweifelt nicht daran, dass das Verlegen von Musik, wie er es versteht, eine Zukunft haben wird – auch über das Papierzeitalter hinaus.

Die Digitalisierung auch des traditionellen Musiknotenbereichs wird früher oder später kommen. Ich glaube aber nicht, dass das wirklich ein Problem ist, weil nicht nur bei uns, sondern bei allen Musikverlagen und fast allen Komponistinnen und Komponisten die Partituren digital vorliegen. Wenn sie nicht bereits in Sibelius, Finale oder einem anderen Notensatzprogramm geschrieben worden sind, dann wurden sie zumindest eingescannt und sind als PDF verfügbar. Sowieso ist das ganze Verlagsprogramm eigentlich schon jetzt digital. Und wenn dann die Orchester nur noch mit digitalen Notenständern arbeiten, wo man über irgendeine Cloud die Stimmen auf die Notenständer projiziert, dann macht man das halt und druckt die Noten nicht mehr. Aber letztendlich ist das für uns als Verlag nicht relevant, weil es nur um ein anderes Medium geht, wenn man die Noten irgendwann nicht mehr auf Papier hat, während wir uns nach wie vor um die Musik kümmern.

Gerade in der zeitgenössischen Musik sind die Erlöse, die wir durch den Verkauf von Partituren erwirtschaften, ja ohnehin nur ein ganz geringer Anteil unserer Einkünfte. Der allergrößte Teil liegt bei den Aufführungsrechten, den Aufführungsmaterialien für die Ensembles, Orchester, Opernhäuser, die man vermietet, verkauft und dann die Tantiemen erhält. Und ob man den Orchestern einen Stapel Papierstimmen schickt oder einen USB-Stick, auf dem diese digital gespeichert sind und in ihr System eingespeist werden können, das ist kein allzu großer Unterschied, weil es in der urheberrechtlich geschützten Musik letztendlich um die Rechte geht.

Die Wahrnehmung der Rechte war für die Verlagsgründerin Juliane Klein, die den Musikbetrieb auch aus der Perspektive der Komponistin kennt, von Anfang an eine zentrale Aufgabe.

Ich sehe, was der Komponist nicht kann oder was ihm wahnsinnig schwerfällt. Das heißt: Er hat in Verhandlungen über Aufträge die allerschlechteste Verhandlungsposition, die es nur gibt, weil jeder Auftraggeber ihm sagen kann, was er natürlich nicht ausspricht: Wenn wir uns hier nicht einig werden, dann kriegt den Auftrag halt jemand anders. Wie soll da der Komponist sagen: Wissen Sie, ich stelle Aufführungsmaterial her für dieses Orchesterstück, dafür möchte ich dreihundert Euro haben. Wenn er schon seinen Auftrag nicht verhandelt kriegt, ist es fast unmöglich, irgendetwas über Verwertungsrechte zu vereinbaren, wenn man keine Position hat. Und da tritt der Verlag auf. Das vertreten wir als Verlag. Der Komponist ist davon befreit.

Musiktheater

Stephan Winkler, Gordon Kampe, Michael Hirsch, Hans Thomalla, Hannes Seidl und Juliane Klein haben sich in den letzten Jahren auch dem Musiktheater zugewandt und stellen damit ihren Verlag vor große Aufgaben. Im Fall von Stephan Winkler eine unerwartete Entwicklung.

Es ist eine etwas ironische Wendung in meinem Leben, dass ich jetzt ausgerechnet Musiktheater häufiger mache, als ich mir jemals hätte vorstellen können, denn mein Verhältnis zum Musiktheater ist keineswegs ein geradliniges. Nach einer jugendlichen Begeisterungsphase für Oper, die aber interessanterweise fast ausschließlich auf zeitgenössische Oper fokussiert war, auch auf Mussorgsky und Janáček, gab es eine Phase der Abwendung, auch vom Sprechtheater, weil mir das alles doch sehr altbacken oder unflexibel erschien. Und 1996 hat Hans Werner Henze mir angeboten, eine Oper für seine Münchener Biennale zu komponieren. Und eine der wenigen Heldentaten, auf die ich heute noch stolz bin, bestand darin, dieses Angebot auszuschlagen, was natürlich karrieretechnisch nicht sehr klug war, aber konsequent.

Ganz losgelassen hat Winkler das Thema Musiktheater allerdings nicht. Der abgelehnte Auftrag hatte immerhin Fragen aufgeworfen.

Was hätte ich machen können? Oder was interessiert mich vielleicht doch am Musiktheater? Das hat dann fast zwanzig Jahre später dazu geführt, dass ich ein abendfüllendes Musiktheater geschrieben habe, „Der Universums-Stulp“, das die Musikfabrik in Wuppertal sechsmal aufgeführt hat, zu meiner Freude mit großem Erfolg. Jetzt [2019] schreibe ich gerade ein drittes, kleineres Musiktheater, das auf einer Bildgeschichte basiert. Das ist ein Musiktheater ohne Worte. Die Sänger singen in einer Phantasiesprache, und sie singen eine Geschichte, aber sie singen ohne Worte.

Juliane Klein blickt heute zufrieden auf die Edition Ju­liane Klein, aus deren Tagesgeschäft sie sich schon vor mehr als zehn Jahren zurückgezogen hat. Seitdem sie eine christlich-wissenschaftliche Praxis betreibt, hat sie nicht mehr viel Musik komponiert.

Gelingen ist garantiert. Auch das ist eine Setzung von mir. Und dadurch wurde dieses „Gelingen ist garantiert“ so in den Raum gestellt. Das ist natürlich für jeden, der damit konfrontiert wird, erst mal ein Knochen, an dem man sich die Zähne ausbeißt, weil es dem dualen Denken widerstrebt, wo man eigentlich das Gegenteil sagt: Ja, es kann was gelingen, aber es kann auch schiefgehen. Wir können Glück haben, wir können Pech haben. Wir haben eine gute Phase, wir haben eine schlechte Phase. Solche Auffassungen spielen im Unternehmenskonzept der Edition keine Rolle. Wir arbeiten in diesem Gelingen. Wir reihen also das, was gelingt, an das nächste, was gelingt. Auch auf diese ungewöhnliche Weise entsteht ein produktives Netzwerk.

Mathias Lehmann blickt in die Zukunft.

Wenn man als Verlag einen festen Stamm von Komponistinnen und Komponisten hat und sich dann nicht mehr vergrößert, altert man gemeinsam gemütlich vor sich hin, und irgendwann hat man Entwicklungen verpasst und hat dann eine lustige Gruppe von Rentnern, die immer noch komponieren oder auch nicht, und wird dann selber museal. Das will man ja nicht.

Und in zehn Jahren wird der Verlag, so hoffe ich, eine Form haben, die ich mir jetzt noch nicht vorstellen kann. Man entwickelt sich weiter, man entwickelt den Verlag weiter, man entwickelt die Konzepte weiter, und die Hoffnung ist immer, dass das, was jetzt noch nicht gedacht wird, in zehn Jahren schon Realität ist.

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