MusikTexte 95 – August 2002, 88–89

Witterungsmusik

Zur Eröffnung des Klangparks Vlotho

von Rainer Nonnenmann

Zwischen den Heil- und Moorbädern Seebruch und Senkelteich liegt der kleine, idyllische Kurpark der ostwestfälischen Weserstadt Vlotho. Er empfängt Besucher mit der ruhigen Musik von Wald, Wiese, Wind, Bach und neuerdings auch mit den Klängen von Lithophonen, Summstein, Wasserstrudelsäule und einer Hörhütte. Das kleine Gebäude wurde von Thomas Menking entworfen und klangtechnisch durch den Installa­tions- und Filmkünstler Nikolaus Heyduck ausgestattet. Es steht im Zentrum des zum Klangpark umgestalteten Gartens und ist Spaziergängern jederzeit frei zugänglich. Über das verfeinerte Senso­rium von Kontaktmikrophonen und Lautsprechern werden hier Klänge von Objekten hörbar gemacht, die draußen im Freien der Witterung ausgesetzt sind. Diese „Witterungsinstrumente“ des Frank­furter Komponisten und Instrumentenbauers Volker Staub bestehen aus drei verschieden langen und dicken Stahlsaiten, die zwischen Bäumen gespannt sind, sowie aus liegenden und von Ästen herabhängenden Gegenständen unterschiedlicher Materialien. Durch Niederschläge, Wind, fallendes Laub, Tiere, leichte atmosphärische Schwankungen und Umweltgeräusche werden sie in Schwingungen versetzt, die mit bloßem Ohr kaum oder gar nicht hörbar sind. Mit Hilfe eines automatischen Dynamikreglers werden sie verstärkt beziehungsweise gedrosselt (etwa bei starkem Regen oder Hagel) in Echtzeit ins Hütteninnere übertragen. Mit der natürlichen Klanglandschaft des kleinen Wald- und Wiesentales haben sie nichts mehr gemein.

Beispielsweise erzeugen die Stahlsaiten, vom Regen getroffen, heftig klirrende Impulse und lange nachzitterndes Sirren, das eher an elektronische Musik denn an Naturlaute denken läßt. Auch Umweltgeräusche wie Verkehr, Stimmen oder Vogelgezwitscher gelangen durch drei in Quinten gestimmte Aluminiumröhren nur verfremdet beziehungsweise in harmonische Obertonproportionen transponiert ins Innere. Statt die ohnehin hörbare Natur zu verdoppeln, macht Volker Staub mit seinen Meteorographen die zumeist unhörbaren Einwirkungen der jeweiligen Witterungsverhältnisse auf unterschiedliche Materialien hörbar. Dabei entsteht mit jedem Tropfen, Wetter- und Jahreszeitenwechsel eine sich stets wandelnde Musik aus rhythmisch, dynamisch, farblich immer wieder anders nuancierten Klängen. Die Komplexität dieses klingenden Mikrokosmos entspricht der chaotischen Regelhaftigkeit des makrokosmischen Wetters und läßt sich wie dieses – allen Voraussagen der Meteorologen zum Trotz – nur annäherungsweise erschließen, nämlich dann, wenn man sich entweder ganz auf die Wandelbarkeit im Detail konzentriert oder aber – was den Vlothoer Bürgern und ihren Kurgästen vorbehalten bleiben dürfte – über Wochen, Monate und Jahre die Veränderungen des Gesamtverlaufs verfolgt.

Zur Eröffnung sollte der Klangpark zusätzlich mit Musikern belebt werden. Nach dem Vorbild von Karlheinz Stockhausens Musiken für ein Haus beziehungsweise einen Garten sollten Musiker spielend umhergehen und Ensembles an verschiedenen Stellen musizieren. Strömender Regen jedoch vereitelte das Freiluftkonzert und forderte dem Veranstalter Peter Ausländer (langjähriger Leiter des Jugendhofes in Vlotho und Initiator der dort Anfang der achtziger Jahre veranstalteten ersten Tagung zum Thema „Weltmusik“) wie allen anderen Beteiligten neben ihrem musikalischen auch einiges organisatorisches Improvisationstalent ab. Durch Verlegung in beengte ­Räumlichkeiten verfehlten einige Improvisationen ihre ursprünglich beabsichtigte Wirkung. Die vom Kölner Komponisten Johannes Fritsch zusammen mit einem Ad-hoc-Ensemble erarbeitete Improvisa­tion „Play 8“ (Fritschs achter Jahrgang in Vlotho) hätte mit ihrer Sonnenblumen-Kostümierung draußen auf einer Wiese sicher ein reizvolles Blumenballett abgegeben, wirkte innen jedoch deplaziert und ließ eine präzise Koordination von japanischer Koto und simultan sich bewegenden Protagonisten vermissen. Fritschs zweite Improvisation für fünf Streicher, Gitarre und Glasharfe entwickelte dagegen mit einem besser abgestimmten Aktions-Reaktionsverhältnis zwischen Soli und Tutti mehr Intensität. Auch die sportiven Aktionen von Mitgliedern des Ersten improvisierenden Streichorchesters (EIS), die unter freiem Himmel vielleicht umherschwirrende Insekten hätte assoziieren lassen, muteten im geschlossenen Raum eher exaltiert bis grotesk an. Dennoch fügte sich die Summe der teils nach-, teils neben- und miteinander ablaufenden Einzelereignisse zu einem in seiner Offenheit und heterogenen Vielstimmigkeit sehr lebhaften, happeningartigen Gesamtgeschehen.

Gro­­ßen Anteil daran hatte der Komponist, Schlagzeuger und Performer Helmut Bieler-Wendt, der auf Schwachpunkte des Abends spontan mit hintergründigem Witz reagierte und dessen impulsive Soloeinlagen auf den Fachwerkbalken der alten Scheune zu Höhepunkten des Abends wurden. Johannes Fritsch ließ unterdessen vom hauseigenen Zivildienstleistenden einen blinden Tubisten im Rollstuhl umherfahren (Carl Ludwig Hübsch), einen Akkordeonspieler im Anhänger vorüberziehen (Jho Kaufmann), eine als Maisfeld drappierte Prozession vorüberschreiten und während des ganzen Abends Vogelgezwitscher über Lautsprecher einblenden, das den Klarinettisten Andreas Wagner zu innigen Zwiegesprächen animierte. Schließlich trugen auch einige vergnügt zwischen den Musikern umherspringende Kinder dazu bei, daß das witterungsbedingte Konzert insgesamt noch zu einer heiteren Serenade der etwas anderen Art geriet.