MusikTexte 114 – August 2007, 75

Odyssee 2007

Die MusikTriennale Köln – ein Festival sucht sich selbst

von Rainer Nonnenmann

Ursprünglich ins Leben gerufen, um unter dem Motto „Der Klang des Jahrhunderts“ in dreijährigem Abstand 1994 und 1997 bis zur Jahrtausendwende 2000 eine umfassende Retrospektive der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts zu geben, treibt die MusikTriennale Köln seit Überschreiten der Jahrhundertwende ohne trag- und zukunftsfähigen Kurs in der Krise. Daß die Fortsetzungsausgaben des Festivals nicht unter mangelndem Angebot oder zu geringer künstlerischer Qualität litten, zeigten 2004 und 2007 viele großartige Konzerte mit hervorragenden Interpreten. Probleme bereiten der dreiwöchigen Großveranstaltung dagegen konzeptionelle Schwächen, mangelndes programmatisches Profil, die Tendenz zur Regionalisierung und die expansive Fülle, welche die strukturellen Schwierigkeiten eher bloßlegt statt sie zu verdecken. Entgegen ihrem eigenen Anspruch findet die MusikTriennale weder national noch international Beachtung. Selbst vor Ort ist die Resonanz eher gering.

Vom 27. April bis zum 20. Mai bot die fünfte Ausgabe des Festivals an über dreißig Spielstätten mehr als hundertfünfzig Einzelveranstaltungen. Neben Philharmonie, WDR-Sendesälen und Stadtgarten waren so viele Spielstätten wie nie beteiligt: drei Theater, drei Museen, fünf Kirchen, fünf Ausbildungsstätten und zehn Orte der freien Szene sowie ungewohnte Lokalitäten: Oberlandesgericht, Kölner Seilbahn, Neptun Bad, Gir Keller und die Design Post in den ehemaligen Postverlade-hallen in Deutz. Damit war die MusikTri-ennale nicht nur ein Festival für, sondern erstmals wirklich auch in der ganzen Stadt. Neben den großen lokalen Institutionen Gürzenich-Orchester und WDR-Klangkörper traten bei über fünfzig Veranstaltungen auch Ensembles und Solisten der Kölner freien Szene in großem Maßstab auf. Die Breite an Spielstätten, Programmen und Ensembles ist begrüßenswert, wirkt sich aber kontraproduktiv aus, wenn nicht zugleich klare Programmlinien und Themenschwerpunkte erkennbar sind und die verstärkte Einbeziehung lokaler Kräfte auf Kosten von Gastspielen internationaler Ensembles geht.

Abgesehen von der Dichte und Masse der Veranstaltungen, die jedes Mal eine Unmenge an Fördergeldern der einschlägigen Kultur-, Kunst- und Musikstiftungen, die dann andernorts fehlen, absorbieren, war schwer erkennbar, was das Festival vom normalen Musikleben der Stadt unterscheidet. Neben moderner und zeitgenössischer Musik war auch diesmal in eher zufälligen Zusammenstellungen klassisch-romantische Sinfo-nik vertreten, weil hiesige und durchreisende Orchester diese eben gerade im Programm führten. Dabei lassen sich Gegenüberstellungen von neuer und älterer Musik durchaus sinnvoll gestalten, wie die von Maria Jonas angeregte Triennale-Reihe „Solo für zwei“ demonstrierte. In den beiden ausgewiesenen Spielstätten für neue und mittelalterliche Musik, der Kunststation Sankt Peter und dem direkt gegenüber liegenden Museum Schnüt-gen, traten jeweils ein Spezialist der neuen und alten Musik sowohl nach- als auch miteinander auf. Leider teilte sich diese Programmschiene nicht ausreichend erkennbar mit. Auch sonst dürfte die unübersichtliche und gesichtslose Graphik der Werbemittel, inklusive einhunderfünfundsiebzigseitigemProgrammbuch, vielen Interessenten den Weg in die Konzerte eher versperrt als gebahnt haben. Die für dieses Jahr offiziell verlautbarten sechzigtausend Triennale-Besucher würden, allein auf die fünfunddreißig Veranstaltungen in der Kölner Philharmonie bezogen, eine respektable Auslastung der dortigen zweitausendein-hundert Plätze von etwa achtzig Prozent ergeben. Was diese Zahlen aber für die Gesamtauslastung des Festivals mit hundertfünfzig Veranstaltungen an über dreißig Spielstätten bedeutet, läßt sich nur erahnen.

Nachdem die Triennale 2004 mit Luigi Nono erstmals einen Komponisten porträtiert hatte, waren jetzt in fünfundzwanzig Konzerten fünfzig Werke Luciano Berios zu erleben. Im Vergleich mit Nono stieß Berios Musik jedoch auf deutlich geringeres Interesse. Zudem waren seine Werke oft in willkürlichen Programmen plaziert, statt in sinnvollen Kontexten mit Musik von Vorbildern, Freunden, Weggefährten, Kontrahenten, Schülern und Schüler-Schülern. Auch die vorgeblich aus dem improvisatorisch offenen Charakter von Berios Musik beziehungsweise aus seiner Vorliebe für internationale Volksmusik abgeleiteten zweiten und dritten Trien-nale-Schwerpunkte „Improvisation“ und „East Side Story: China“ fanden ohne Berührungspunkte in komplett getrennten Konzertreihen statt.

Der Bereich „Improvisation“ war bereits bei allen vorigen Festivals vertreten. Dieses Mal erhielt er lediglich den Status eines eigenen, zumindest quantitativ besonders umfangreichen Themas zugesprochen. Indes war auch hier zwischen traditionellem Jazz, Einzel- und Gruppenimprovisationen, experimenteller Elektronik und audiovisuellen Performances kein programmatischer Fokus auf irgendeinen Aspekt zu erkennen. Die fast zwanzig Konzerte mit traditioneller und neuer chinesischer Musik waren immerhin auf ein Wochenende gebündelt, buhlten dafür aber an bis zu vier Spielstätten gleichzeitig um denselben Interessentenkreis. Auch sonst konnte man den Eindruck gewinnen, daß die drei veranstaltenden Institutionen und Programm-Macher (Philharmonie-Intendant und künstlerischer Gesamtleiter Louwrens Langevoort, Pro-grammchef WDR 3 Karl Karst und Reiner Michalke von der Kölner Jazzhausinitia-tive Stadtgarten) sich eher Konkurrenz machten, statt einander zuzuarbeiten. Umfassendere Entscheidungsbefugnisse des künstlerischen Gesamtleiters oder ein von mal zu mal wechselnder externer Kurator, der weniger den Partialinteressen der einzelnen Institutionen, Spielstätten, Redakteure, Dirigenten und Klangkörper unterworfen ist, könnten hier Abhilfe schaffen und dem Festival zu einem eigenen Profil verhelfen.

Eine Hypothek des vom vormaligen Philharmonie-Intendanten Franz Xaver Ohnesorg initiierten Festivals ist auch der Triennale-Rhythmus. Der große zeitliche Abstand wirkt sich negativ auf die Wahrnehmung der Veranstaltung aus, die jedes Mal wieder neu mit immensem Werbeaufwand und stets abnehmendem Erfolg ins öffentliche Bewußtsein gebracht werden muß. Viele kleinere Städte ohne vergleichbares Konzertleben wie die Musikmetropole Köln haben seit langem jährliche Festivals mit neuer Musik. Bis heute ist die MusikTriennale selbst innerhalb der Domstadt geschweige denn im internationalen Festivalbetrieb nicht wirklich verankert. Ratsam wäre ihr Umbau zur Biennale oder zu einem jährlichen Musikfestival, das in der Konzentration auf eine kleinere Anzahl programmatisch dafür klar erkennbarer Veranstaltungen mittels lokaler und internationaler Musiker neue und alte Musik unter wechselnden spartenübergreifenden Themenstellungen gegenüberstellt. Immerhin haben gerade diese beiden Musiksparten Köln seit dem Zweiten Weltkrieg weltweit als Musikstadt bekannt gemacht.