MusikTexte 116 – Februar 2008, 90

Mücken, Elefanten und viele Worte

Teamarbeit von Herbort, Mohren und Seidl in Bonn

von Rainer Nonnenmann

Noch während das Publikum den Saal betritt erklärt Schauspielerin Katharina Zoff­mann mit schnellem Bandschleifen-Dauer­redefluss den Bühnenaufbau und das, was zu erwarten ist: „Hier gibt es kein Geheimnis. Hier gibt es nur, was es ist. Beachten Sie die Fakten! Und Sie werden bemerken, dass es gar keine Fakten gibt, was aber auch nichts macht.“

Das Stück „Von Mücken, Elefanten und der Macht in den Händen“ hat längst begonnen. Es ist absurdes Theater mit gewesenen, gegenwärtigen und künftigen Ereignissen. Gespielt wird auf großen Puzzlesteinen, einer Landschaft, die zugleich Landkarte ist. Wie in einem Kaleidoskop werden Textbausteine, Klänge, Bühnenelemente und Requisiten immer wieder neu kombiniert und in andere Kontexte gestellt: Fragmente aus Shake­speares letztem Stück „Der Sturm“, Gedanken von Karl Kraus, Werner Heisenberg, Daniel Schreber, dem der Dementia Paranoides verfallenen Sohn des Erfinders der gleichnamigen Gärten, und Beschreibun­gen der fünfzehnstündigen Ermüdungsrede, die US-Senator D’Amato 1992 im Kongress hielt, um vorübergehend den Lauf der Dinge aufzuhalten.

Dabei entstehen augenblicklich und zeit­verzögert Verknüpfungen zwischen den Darstellungsebenen. Nachdem im Text mehrfach Fanfaren beschworen wurden, fallen eine halbe Stunde später die bisher unterbeschäftigten Musiker des Bonner Beet­hoven Orchesters tatsächlich mit einer Fanfare ein. Dito tritt erst ganz am Schluss eine Sopranistin mit dem einzigen, er­sten und letzten Gesang auf, wobei sie sich – wie seinerzeit Senator D’Ama­to – nicht vorhandene Schuppen von den Schultern streift. Den Schlusspunkt setzt ein von der Decke fallendes Schlauchboot, das dort neben etlichen weiteren Gerätschaften die ganze Zeit über auf dieses Ereignis hatte warten lassen.

Text und Regie des selbstreferentiellen Spiels mit Mitteln und Möglichkeiten von Theater stammen von Bernhard Herbordt und Melanie Mohren. Beide sind Absolventen des Instituts für Angewandte Thea­terwissenschaft Gießen. Dort lehrte Hans Thies-Lehmann „postdramatisches Theater“, szenische Umsetzungen dessen, was die neuere Literatur- und Kunstwissenschaft seit Jahren als „semiotische Wende“ diskutiert: Statt etwas zu bezeichnen, zeigen Zeichen nichts anderes als ihren Zeichencharakter. Kisten, Theater-Nebel, Sonnenuntergang, grüne Bäumchen erscheinen nur um ihrer selbst willen. Durch Störung des konventionalisierten Bedeutungszusammenhangs sollen sie das Publikum zur Beobachtung der eigenen Deutungsversuche provozieren. Beim Blick durchs Fernrohr wird nicht Neuland, sondern werden „Zuschauer!“ ausgemacht: den Zuschauern wird beim Zuschauen zugeschaut.

Das um sich selbst kreiselnde Wort- und Bildgeschehen drängt die Musik an den Rand. Gegenüber dem eingespielten Regie-Duo zieht Komponist Hannes Galette Seidl, Schüler von Nicolaus A. Huber, den Kürzeren. Selbst in Momenten, die allein seiner Musik gehören, kann er sich kaum Gehör verschaffen. Die Elektronik blieb zurückhaltend, und auch im Abschiedstrio, das Posaunist und Klarinet­tist der Reihe nach verlassen, während dem Schlagzeuger nach und nach die Instrumente und Notenständer entwendet werden, drängt sich wieder das Szenische in den Vordergrund: mehr Theatermusik als Musikthea­ter.

Die Premiere dieser Koproduktion vom Fond Experimentelles Musiktheater des NRW Kultursekretariats, der Kunststiftung NRW und dem Theater Bonn war zugleich eine Abschiedsvorstellung: die Reihe „Bonn Chance!“ war – wie der Bonner Generalintendant Klaus Weise ankündigte – wegen Mittelkürzungen zum letzten Mal in der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD zu Gast. Ob, wo und wie sie – hoffentlich! – eine neue Chance erhält, hängt nicht ab von Glück, sondern von kulturpolitischen Entscheidungen.