MusikTexte 121 – Mai 2009, 84–87

Empfangsbereite Antennen

Der Pionier der Minimal Music Steve Reich im Gespräch

mit Rainer Nonnenmann

Nach regelmäßigen Aufenthalten in der BRD während der siebziger Jahre, darunter häufig im WDR Köln, gastierte der Pio­nier der Minimal Music am 27. Januar 2009 erneut in Köln. Gelegentlich äußerte der New Yorker Komponist sogar, es sei für ihn leichter, nach Köln zu gehen als nach Kalifornien. Immerhin wurden in Köln mehrere seiner Werke uraufgeführt: 1981 seine erste textbasierte Komposition „Tehillim“ für Stimmen und Ensemble, 1984 die Instrumentalfassung von „The Desert Music“ für Chor und Orchester und 2006 die „Variations“ für Vibraphone, Klaviere and Streicher in einem Konzert anlässlich seines siebzigsten Geburtstags.

Unter den namhaften zeitgenössischen Komponisten ist Steve Reich zweifellos einer der bekanntesten und beliebtesten, für viele ist er regelrecht Pop. Bei seinem jüngsten Kölner Gastspiel sollte er den ersten Teil seines vierteiligen Schlagzeugzyklus „Drumming“ zusammen mit drei Musikern des Ensembles Modern im Kölner Museum Ludwig im Rahmen der Aus­stellung „Gerhard Richter – Abstrakte Bilder“ spielen, offenbar auf Richters ausdrücklichen Wunsch. Wegen des großen Publikumszuspruchs wurde das Konzert jedoch ins Museumsfoyer verlegt, das dann seinerseits aus allen Nähten platzte. Die ursprünglich geplante Gegenüberstellung der Musik des US-amerikanischen Minimalisten mit Richters Bildern kam also nicht zustande, was indes nicht von Nachteil war. Denn Reichs repetitive Minimal Music hat mit Richters abstrakten Spachtelbildern aus den achtziger Jahren wenig gemein. Stärkere Paral­lelen geboten hätten die grau pulsie­ren­den Muster von Richters jüngeren „Silikat“-Serie aus dem Jahr 2003 oder die Adaption seines Gemäldes „4096 Farben“ für das große Südquerhausfenster im Kölner Dom.

Nun eher mit Blick auf US-amerikanischer Pop-Art zeigte Reich mit der Aufführung seines 1970/71 unmittelbar im Anschluss an seinen Aufenthalt in Ghana – wo er westafrikanische Trommeltechni­ken studiert hatte – entstandenen Stücks, dass er auch als inzwischen Zweiundsiebzigjähriger seine Trommelkünste noch nicht verlernt hat. Er ist sichtlich jung geblieben, gelenkig, locker, sportiv. Und natürlich agiert er – wie es sich für einen Amerikaner gehört – mit größter Coolness, nicht nur wegen der obligatorischen Baseball-Kappe auf dem Kopf. Bis auf geringe Farbänderungen durch Dynamik- und Schlägel-Wechsel besteht „Drumming – Part I“ rein aus rhythmischen Impulsen auf vier gestimmten Bongo-Paaren, bei denen die Schlagzeuger paarweise Rhythmen vorgeben und dann nach Gehör nachspielen, so dass es immer wieder zu geringfügigen Abweichun­gen kommt.

Dem perkussiven Purismus ließen das traumhaft sicher agierende Ensemble Modern und die körperlos schwebenden vier Sängerinnen der Synergy Vocals aus London die klangsinnliche „Music for 18 Musicians“ in der Kölner Philharmonie folgen. Sein frühes Hauptwerk komponierte Reich 1974 bis 1976 wie ein Steckspiel. Immer wieder setzt er mit einem einzelnen Ton an, der nach kurzer Pause wiederholt und irgendwann durch einen weiteren Ton ergänzt wird, bis dann ein dritter, vierter, fünfter Ton et cetera hinzutritt, so dass sich die Pausen zwischen dem wiederholten Anfangston schrittweise mit Tönen füllen. Die so entstehenden Rhythmus- und Melodiefolgen werden dabei nicht nur immer länger und dichter, sondern jeder neu hinzukommende Ton bewirkt ein komplett anderes inneres Gefüge der Akzente, Rhythmen, Bezugspunkte, Phrasen. Durch fortwährende Repetition werden die kurzen Motivkerne beziehungsweise Patterns zu langen Fäden ausgesponnen, die sich wechselseitig zu permanent sich wandelnden Webmustern verflechten.

Die flirrenden Klangteppiche bieten dem Hörer die Möglichkeit, auf verschiedenen Ebenen in Reichs Musik einzusteigen. Vielleicht liefert das eine Erklärung für die weltweite Popularität dieser Kunst. Wer sich zunächst auf die Steckbauweise im Detail konzentriert, sieht sich bei zunehmender Polyphonie irgendwann so überfordert, dass er nur noch einen wogenden Gesamtklang wahrnimmt, aus dem dann plötzlich erneut eine neue, akzentuiert einsetzende Einzelstimme heraustritt, welche die Aufmerksamkeit vom Ganzen wieder auf den Steckmechanismus im Detail zurücklenkt. So gerät das Hören ins Oszillieren. Wie Moleküle verketten sich kleinste Einheiten zu einem pulsierenden Gesamtorganismus, der lebt, atmet, vibriert, sich verdichtet, hebt, dehnt, spannt, dann wieder senkt, ausdünnt und verebbt. Während fast einer Stunde wird der Hörer durch überlagerte Phasen, Schichten und Interferenzen wie von einem Strudel immer tiefer ins Klanggeschehen gezogen.

Ganz eigene Suggestivkraft entfaltet dabei der optische Eindruck der vier Pianisten und sechs Schlagzeuger, die mit höchster Konzentration und sichtbarer physischer Anstrengung nahezu unentwegt auf ihre Instrumente klöppeln, vor allem auf zwei Xylo- und drei Marimbaphone. Die Musik hat dadurch etwas sehr Mechanistisches, ist aber zugleich von einer direkt sich mitteilenden Körperlichkeit und archaischen Kraft, welche die Ursprünge der Musik aus Rhythmus und Tanz erahnen lässt. Ihre berauschende Wirkung schätzten seinerzeit schon die Hippies und Blumenkinder der Flower- Power-Bewegung. Den während der Konzertpause vor der Kölner Philharmonie aufsteigenden süßlichen Rauchwolken nach zu urteilen, sucht offenbar auch heute noch mancher den psychedelischen Sog dieser Musik künstlich zu erhöhen. Fünf Tage vor den – mit oder ohne Stimuli – begeisternden Kölner Konzerten fand das folgende Telefonat zwischen Köln und New York statt.

Mister Reich, Sie waren in der Vergangenheit häufig in Köln und kennen vermutlich nicht nur von da her die hiesige Tradition der neuen Musik um Bernd Alois Zimmermann, Karlheinz Stockhausen und Mauricio Kagel. Ihre eigene Musik klingt demgegenüber völlig anders, aber vielleicht gibt es dennoch Verbindungen?

Steve Reich: Mit Stockhausens Serialismus habe ich bestimmt nichts zu tun. Aber sein Vokalquintett „Stimmung“ ist stark von La Monte Young beeinflusst. Als ich während der fünfziger Jahre an der Juilliard School of Music in New York studierte, war ich – wie jeder damals und so auch die Kölner Komponisten – sehr an Anton Webern interessiert, besonders an seinen „Orchestervariationen“ und seinem ständigen Gebrauch von großen Septimen und kleinen Terzen, die immer wieder wiederholt werden, so dass eine konstante Harmonik entsteht. Diese Musik ist von meiner natürlich völlig verschieden. Aber das Denken ist doch irgendwie ähnlich, auch die öffnende Wirkung, die von Weberns Schaffen ausging, der gezeigt hat: „anything is possible“. Sonst kommt meine Musik viel mehr von Igor Strawinsky und Béla Bartók, auch von John Coltrane, afrikanischer und balinesischer Musik.

Was halten Sie vom Begriff „Minimal Music“?

Was glauben Sie, wie würde Claude Debussy in seinem Grab antworten auf die Frage „Excusez-moi monsieur, mais, est-ce que vous êtes impressioniste?“ Ich denke, er würde „merde“ sagen oder Ähnliches. Es ist hilfreich, den Begriff „Impressionismus“ zu gebrauchen für Debussy, Ravel, Satie, Koechlin und vielleicht einige andere Leute. Man kann auch „Expressionismus“ sagen zu Schönberg, Berg, Webern, und „Minimal Music“ zur Musik von Steve Reich, Philip Glass, Terry Riley, La Monte Young, vielleicht auch von Arvo Pärt oder vom frühen John Adams et cetera. Der Punkt ist aber: Wenn man nicht näher an diesen Komponisten interessiert ist, benutzt man diese Begriffe ohne zu sehen, dass es sich eigentlich um sehr unterschiedliche Künstler handelt. Man fasst einfach eine Handvoll Komponisten unter einem Begriff aus der Malerei oder Plastik zusammen, nur weil sie zur selben Zeit wie diese Maler und Bildhauer leben. Den Gebrauch des Wortes „Minimal Music“ führte erstmals Michael Nyman ein, in England. Er dachte dabei an die Bildenden Künstler Sol Le Witt, Richard Serra, Frank Stella und solche Leute. Man kann diesen Begriff im Allgemeinen und im Besonderen verwenden. Für meine eigene Musik taugt er in einem engeren Sinne lediglich für die Werke bis „Drumming“, also für die Zeit von „It’s gonna Rain“ und „Come out“ von 1965 bis 1971/72. Zu dieser Zeit hatte meine Musik keine Wechsel der Harmonik, stattdessen arbeitete ich ausschließlich mit rhythmischen Veränderungen und Vervielfachungen desselben Instruments. In Bezug auf diese Stücke könnte man von „Minimal Music“ sprechen. Aber seit „Music for 18 Musicians“ (1974–1976) wurde meine Musik sehr verschieden. Ab „Tehillim“ (1981) würde man nicht mal mehr an diesen Begriff denken, ebenso bei den „You are (Variations)“ (2004) und den letzten Stücken.

Die von Ihnen erwähnten frühen Bandschleifen-Kompositionen, mit denen Sie Mitte der sechziger Jahre einen maßgeblichen Beitrag zur Entstehung der Minimal Music leisteten, sind heute mehr als vierzig Jahre alt. Wie haben sich inzwischen die Minimal Music und Ihr eigenes Schaffen entwickelt?

Der Grad an Veränderung wurde in meiner Musik viel schneller. „Drumm­ing“ dauert fast eineinhalb Stunden und die Partitur umfasst nur dreißig Seiten, was nur deswegen möglich ist, weil es darin sehr viele Wiederholungen gibt. „Music for 18 Musicians“ ist nur ein bisschen kürzer und umfasst doch etwa dreihundert Seiten. Wie geht das? Weil es hier eben sehr viele Veränderungen gibt. Der Grad des harmonischen und melodischen Wechsels ist viel höher. Und wenn man in die Partituren meiner Werke der letzten zwanzig Jahre schaut, dann gibt es da überhaupt keine Wiederholungen im klassischen Sinne mehr. Ich verwende stärker Chromatik, und die Orchestration wurde reicher. Dabei benutze ich keine beziehungsweise kaum Blechbläser, dafür aber Holzbläser, Singstimmen, Streicher, Tasteninstrumente und alle Arten von Schlaginstrumenten mit oder ohne bestimmte Tonhöhe.

In späteren Werken suchen Sie verstärkt, Verbindungen Ihrer Musik zu Außermusika­lischem, zu Gesellschaft, Geschichte, zur eige­nen Biographie. Ist Ihnen das ein Anliegen?

Ja natürlich. Ich habe die Videooper „The Cave“ (1990–1993) komponiert, in der es um die Höhle Machpelah in Hebron in den Westbanks geht, wo Abraham, Sarah, Isaak und Rebecca begraben liegen. Das Stück enthält alle möglichen physischen und religiösen Anspielungen auf die Welt, in der wir leben. Zuvor schrieb ich das Stück „Different Trains“ über den Holocaust, persönlich für meine Frau und mich, weil ich diese Epoche durchlebt habe. 2002 komponierte ich „Three Tales“ über Technologie und das zwanzigste Jahrhundert. Ich verwendete eine ganze Menge Technik, und die sollte hier reflektiert werden. Ich wollte eine Videooper über all das schreiben, von dem wir persönlich betroffen sind und das ungeheure Auswirkungen auf jeden von uns hat. Und ich habe inzwischen viel mehr Vokalmusik geschrieben. Die „You are (Variations)“ verwenden Texte des Rabbi Nachman aus Breslau, aus den Psalmen und von Wittgenstein. Die „Daniel Variations“ von 2006 beziehen sich auf das Buch Daniel der Bibel und den amerikanischen Journalisten Daniel Pearl, der 2002 in Pakistan von fanatischen Muslimen entführt und ermordet wurde. Ja, es gibt in meinen Stücken, vor allem in den Musiktheaterwerken, viel mehr Material aus der Wirklichkeit oder eben dokumentarisches Material.

In welche Richtung möchten Sie Ihre Musik weiter entwickeln?

Es geht immer nur um das jeweils nächste Stück, bei dem es zu einer Weiter­entwicklung des Vorherigen oder auch zu einem Bruch kommen kann. Im Moment beende ich ein Stück für Rock-In­stru­mente. Tatsächlich habe ich noch nie – mit Ausnahme für sehr tiefe E-Bassgitarre – für elektrische Instrumente komponiert. Die Gruppe „Bang on a Can“ wird das Stück im Juli in Manchester zur Ur­aufführung bringen. Es ist für fünf Rock-Instrumente geschrieben, die gegen eine Aufnahme ihrer selbst anspielen, so dass der Eindruck entsteht, als spielten zehn Instrumente gleichzeitig. Davor habe ich ein „Doppelsextett“ geschrieben – wie ich es nenne –, für dieselben In­strumente wie in Schönbergs „Pierrot Lunaire“. In Amerika gibt es eine Gruppe, die nennt sich „eighths blackbird“, deren Besetzung ist „Pierrot“ plus Schlagzeug, also Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug. Die einzige Art und Weise, wie ich mit diesem Instrumentarium umgehen konnte, bestand für mich darin, sie aufzunehmen und gegen sich selbst spielen zu lassen. Tatsächlich schrieb ich also ein Stück für zwei Sextette mit jeweils zwei Flöten, Klarinetten, Geigen, Violoncelli, Klavieren und Schlagzeugern. Ich brauche einfach identische Instrumente, die kanonisch miteinander spielen. Das begann bei mir schon sehr früh und steckt immer noch in meiner Musik, auch wenn diese inzwischen ziem­lich anders klingt, weil das kanonische Prinzip darin stärker entwickelt ist.

1966 gründeten Sie das Ensemble „Steve Reich and Musicians“, das während der ersten zehn Jahre seines Bestehens von ursprünglich nur drei Musikern auf achtzehn Musiker anwuchs und für das Sie 1974 bis 1976 auch ihre „Music for 18 Musiciens“ komponierten. Schreiben Sie auch heute noch Stücke für dieses Ensemble?

Nein, mein Ensemble hat sich weitgehend zur Ruhe gesetzt. Wir sind alle älter geworden und spielen nur noch ganz selten zu ganz bestimmten Gelegenheiten. Dieses Jahr werden wir nur ein einziges Konzert geben, am 3. März zur Wiedereröffnung der Paul Recital Hall der Juilliard School im Lincoln Center. Sonst treten wir überhaupt nicht mehr auf. Es freut mich aber sehr und erfüllt mich mit großer Zufriedenheit, zu wissen, dass Hunderte von Menschen weltweit meine Stücke spielen. Ich bin sehr froh, dass meine Musik von ganz verschiedenen Gruppen aufgeführt wird, darunter zum Beispiel auch vom Ensemble Modern, einer der bedeutendsten Formationen dieser Art. Ich bin mit diesen Musiken seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden, und deswegen werde ich auch in Köln sein, um mit ihnen zusammen zu spielen, wie schon so viele Male zuvor.

Eines der Kölner Konzerte wird im Museum Ludwig stattfinden, und zwar im Rahmen der dort gezeigten Ausstellung „Gerhard Richter: Die abstrakten Bilder“. Kennen Sie den seit 1983 in Köln lebenden Künstler und seine Arbeiten?

Ich habe Reproduktionen seiner Werke gesehen und hier in New York auch einige Originale. Aber ich kenne ihn nicht wirklich und habe nie eine ganze Ausstellung von ihm gesehen. Ich war sehr eng befreundet mit Sol Le Witt, bevor er starb, und ich bin immer noch ein guter Freund des Bildhauers Richard Serra, und ich habe Anselm Kiefer kennen gelernt. Aber Gerhard Richter habe ich nie getroffen. In Köln wird es zwischen den Proben hoffentlich Gelegenheit dazu geben. Aber was ich von ihm gesehen habe, ist ersten Rangs. Er ist einer der wichtigsten Künstler unserer Zeit.

Sehen Sie Parallelen zwischen Ihrer Musik und Richters Kunst?

Ich sehe Parallelen zu den Arbeiten meiner Künstler-Freunde Sol Le Witt und Richard Serra. In Bezug auf Gerhard Richter bin ich mir dessen nicht bewusst, dazu müsste ich mehr von ihm kennen lernen.

Für die in Köln gezeigten abstrakten Bilder aus den achtziger Jahren nutzte Richter einen zwei Meter breiten Spachtel, um Farben so auf Leinwände zu verteilen, dass komplexe Strukturen mit Achsen, Überlagerungen und fein ziselierten Einzelgebilden entstehen. Der Einsatz dieser eher einfachen oder – wenn Sie so wollen – „minimalistischen“ Mittel führt dabei aber zu äußerst vielschichtigen, komplexen Ergebnissen.

Ja, davon habe ich einige Reproduktio­nen gesehen. Das sieht sehr interessant aus und ich freue mich darauf, die Bilder im Original zu sehen.

Erwarten Sie, dass es bei diesem Museums­konzert für das Publikum eine Interaktion zwischen Richters Bildern und Ihrer Musik geben wird?

Die Schönheit, sagt Shakespeare, liegt im Auge des Betrachters. Will sagen: ich weiß es nicht. Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Ich selbst werde mit den anderen Musikern während der Aufführung ohnehin nicht auf die Bilder sehen können. Aber als ich viel jünger war, haben wir die meisten unserer Konzerte in Kunstmuseen und Galerien gegeben. Anfang der siebziger Jahre spielten wir unser erstes Konzert im Rheinland in der Düsseldorfer Kunsthalle. Oder wir spielten bei der Mark-Rothko-Ausstellung in London, ich glaube 1972. Die Uraufführung von „Drumming“ spielten wir im Museum of Modern Art in New York 1971. Wir spielten auch im Guggenheim-Museum, im Whitney-Museum und vielen Museen in Europa. Und zwar deshalb, weil viele meiner Freunde Maler und Bildhauer waren, die da ausgestellt wurden. Natürlich spielten wir auch in Konzerthäusern und Rundfunksendern, aber es blieb für uns immer interessant, wieder in die Umgebung von Kunst zurückzukehren.

Haben die von Ihnen genannten Künstler Einfluss auf Ihr Komponieren gehabt?

Nein. Ich denke es handelt sich einfach darum, dass Leute, die zur gleichen Zeit am selben Ort leben, mit ihrer Vorstellungskraft und ihren Antennen, ihren Au­gen und Ohren, auch dieselben Botschaf­ten empfangen. Auf diese Weise sind ihre Arbeiten ganz natürlich miteinander verbunden, denn sie sind sich bewusst, was gerade im Moment passiert. So war nicht-westliche Musik in Amerika etwas ganz Neues, als wir sie in den siebziger Jahren erstmals hörten, Musik aus Indonesien, Afrika, Indien. Und verschiedene Künstler haben darauf reagiert. Genauso war es mit den impressionistischen Malern und Musikern, etwa mit Monet und Debussy, die zur selben Zeit auftraten. Ich glaube nicht, dass sie bewusst voneinander beeinflusst wurden, aber sie arbeiteten in derselben Umgebung und derselben historischen Epoche, und deswegen gibt es Beziehungen zwischen ihren Werken. Das finden wir durch die ganze Geschichte hindurch. Ich bin jetzt zweiundsiebzig und Richter ist, glaube ich, im selben Alter. Von daher könnte es durchaus Verbindungslinien zwischen meiner Musik und seiner Kunst geben.

Noch eine letzte Frage aus gegebenem Anlass: Am 20. Januar wurde der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Erwarten Sie, dass es unter der Präsidentschaft von Barack Obama in den USA zu einem neuen politischen Klima kommt, das vielleicht auch Einfluss auf die amerikanische Kultur und Musik hat?

Nein, ein neuer Präsident ändert keinen Musikstil. Das entspricht nicht meiner Lebenserfahrung. Aber was ich denke ist: Jeder ist sich im Augenblick darüber im Klaren, dass kein Präsident seit Franklin Delano Roosevelt vor so vielen und so großen Problemen stand, mit denen der neue Präsidenten zudem noch möglichst sofort fertig werden muss. Ich wünsche ihm viel Glück, denn er hat viel auf dem Tablett, wie man so sagt. Aber selbst wenn er ein neues politisches Klima schafft, wird dies keinen neuen musikalischen Stil herbeiführen. Das war auch bei Roosevelt nicht der Fall, und das war ein sehr wichtiger Präsident.