MusikTexte 122 – August 2009, 85

Intermediale Lucier-Echos

Das Debütkonzert des Kölner Ensembles „Garage“

von Rainer Nonnenmann

Darauf hat die Kölner Szene der neuen Musik lange gewartet – auf Nachwuchs. Jetzt endlich meldet sich die Generation der unter Dreißigjährigen zu Wort, organisiert und hilft sich selbst. Bereits früher erwies sich die Zusammenarbeit von jungen Komponisten und Interpreten hier wie andernorts als fruchtbares wechselseiti­ges Geben und Nehmen. Auf diese Weise wurde vor fast dreißig Jahren das Ensem­ble Modern genauso bekannt wie die vielen von ihm aufgeführten Komponisten.

Nachdem das Jahrzehnt seit Mitte der neunziger Jahre in Köln vor allem durch Abwanderungen von Künstlern sowie einen auf klägliche Reste zusammengestrichenen städtischen Kulturetat geprägt war, so dass kaum Nachwuchs in die Kölner Neue-Musik-Szene drängte, stehen die Dinge nun wieder besser. Auf Anregung der Komponisten Rodrigo López Klingenfuss und Brigitta Muntendorf – Absolventen der Kölner Hochschule für Musik und Tanz – haben sich jetzt zehn aktive oder ehemalige Studenten der Kölner Hochschule zum Ensemble „Garage“ zusammengeschlossen. Der Name betont den Werkstatt-Charakter des Unternehmens, das sich vorgenommen hat, multimediale und musiktheatralische Elemente einzubeziehen und für jedes Konzert ein inszenatorisches Gesamtkonzept zu entwickeln. Den „Treibstoff“ für das unter diesem Titel stattfindende Debüt der Formation im Belgischen Haus lieferte Alvin Luciers „I am sitting in a room“, ein Meilenstein der experimental-akustischen Konzeptkunst von 1969, dank dessen das Konzert im Rahmen der Reihe „Schlüsselwerke“ des Netzwerks „ON – Neue Musik Köln“ stattfand.

Der US-amerikanische Composer/Performer hatte seinerzeit eine kurze Beschreibung der Aufführungssituation des Stücks auf Tonband gesprochen und anschließend über Lautsprecher wiedergegeben. Indem er das Abgespielte erneut aufzeichnete, abermals wiedergab und mitschnitt et cetera, schrieben sich von Mal zu Mal die akustischen Eigenschaften des Raums und der verwendeten Speicher- und Wiedergabegeräte in die Aufnahme ein, bis die Sprache immer unkenntlicher und schließlich zu reinem Klang wurde. Je nach Örtlichkeit kann dieser Prozess eine halbe oder dreiviertel Stunde dauern. Die jungen Interpreten beschleunigten ihn kurzerhand, indem sie den gesprochenen Kommentar im elektronischen Studio sechsmal durch den virtuellen Hallraum eines digitalen Soundprogramms schickten. Das damit gewonnene Resultat mag ähnlich sein. Vollkommen auf der Strecke aber bleibt die Idee von Luciers Stück. Dessen Witz besteht ja gerade darin, dass das Publikum in demselben oder einem anderen Raum sitzt, der sich als Filter und Hallraum in die Sprachklänge einschreibt und in dem die scheinbar neutralen Reproduktionsinstrumente als diejenigen manipulativen Produktionsmittel kenntlich werden, als die sie damals der amerikanische Medientheoretiker Marshall Mac­Luhan mit der Formel beschrieb: „The medium is the message“.

Im Quartett „Nichtsattrappen 0’02”“ adaptierte Steffen Krebber Luciers Transformationsprinzip mit rein instrumentalen Mitteln, indem er den Klarinettisten Musik aus Papua Neu Guinea imitieren und sein Spiel durch andere Musiker aufgreifen ließ. Rod­rigo López Klingenfuss drehte den Prozess um. In seinem Ensemblewerk „Ottertal“ verdichtet ein Sprecher/Sänger ver­sprengte Phoneme nach und nach zu ei­nem verständlichen Satz Ludwig Wittgensteins, der dann seinerseits von forcierten Instrumentaleinsätzen verdeckt wird. Zudem legen ein kurz aufblitzender Ländler der Es-Klarinette und Fingerschnippen des Schlagzeugers assoziative Fährten zum zeitweiligen Wirken des österreichischen Sprach­philosophen als Volks­schullehrer im titelgebenden Ottertal.

Brigitta Muntendorf – Trägerin des diesjährigen Bernd Alois Zimmermann-Preises der Stadt Köln – übertrug in „Hinterhall“ Luciers Reproduktionsspirale mittels Stefan Demmings Videoarbeit ins Optische. Die Lautstärke des Spiels von Saxophonist und Schlagzeuger reguliert die Beleuchtung und damit indirekt auch Videoaufnahmen der Musiker, die zeitverzögert auf einer Leinwand erscheinen. Die gespenstischen Momentaufnahmen gleichen Daguerreotypien aus der Frühphase der Photographie und werfen Schlaglichter auf das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Dabei hinterlässt das plötzliche Aufblitzen der Glühbirnen im sonst völlig abgedunkelten Saal ähnlich schemenhafte Negativbilder auf der Netzhaut der Zuschauer.

In Muntendorfs „Überhall“ schließlich haben die Musiker nach der Videoaufnahme des Dirigenten (Mariano Chiacchiarini) zu spielen, der in Loops sechsmal hintereinander immer dieselbe Passage dirigiert, während sein Abbild auf der Leinwand mit jedem Mal immer unschärfer wird, bis es sich endlich – analog zu Luciers Sprachklängen – in verschwommene Licht- und Farbflächen auflöst. Gleichzeitig nimmt auch die Unschärfe im Ensemble zu, sowohl durch die erschwerte und schließlich nahezu völlig aufgehobene Möglichkeit der Koordination durch den verblassenden Dirigenten als auch durch ausgedehnte Liegetöne und die Zuspielung von echoartig verhallten Wiedergaben des Ensembles, die den Verlauf des Stücks den fluktuierenden Klangwellen in der Endphase von Luciers „I am sitting in a room“ annähern. Am Ende sitzen die Musiker stumm im Dunkeln und lauschen dem eigenen medialen Echo aus den Lautsprechern.

Mit vier Uraufführungen und einem stimmig durchgeplanten Gesamtablauf gelang „Garage“ eine vielversprechende Premiere, die indes nicht über die Aufgaben und Schwierigkeiten hinwegtäuschen kann, die dem Ensemble bevorstehen, vor allem beim Versuch, Veranstalter für die eigenen Programmideen zu gewinnen, damit man sich finanziell einigermaßen tragen kann und – vielleicht erst einmal noch wichtiger – Gelegenheit erhält, möglichst viel Konzerterfahrung zu sammeln und andere Komponisten kennen zu lernen, um das eigene Ensembleprofil bald über die jetzt federführenden Komponisten hinaus zu erweitern. Schließlich ist schon manches – auch Kölner – Ensemble über kurz oder lang in der personellen und ästhetischen Enge seines Ak­tionsradius vertrocknet.