MusikTexte 123 – Dezember 2009, 69–74

„Das Intervall macht die Musik“

Ein Gespräch mit dem Komponisten Klaus Huber

von Thomas Meyer

Klaus Huber, ich würde gern bei Ihrem jüngsten Stück, bei „Quod est pax? – Vers la raison du cœur …“ beginnen. Zunächst hört man hier eine feine, rhythmisch sehr freie, aber etwas unbestimmte Klangschicht, doch plötzlich nach etwa einer Minute wird da hinein mit aller Klarheit diese Frage gestellt: Quod est pax? Was ist Frieden? Man versteht sie sehr gut, sie wird in keiner Weise von den Klängen verschleiert, wie es zuweilen in neuer Musik üblich ist, sondern erscheint gleich­sam vordringlich. Das dünkt mich sehr bezeichnend, so als wollten Sie in diesen diffusen Klangeindruck eben eine dringliche Frage hineinstellen.

Es ist ja eine zentrale Frage. Ich bin dafür meinem Freund in Bremen, dem Friedensforscher Dieter Senghaas, sehr dankbar, dass er mir dazu viel Literatur verschafft hat. Was ist Frieden? Heute meint man, Pax, der Frieden, wäre gesichert, wenn man ganz auf Sicherheit setzt, aber es gab Zeiten wie die Frührenaissance, wo dieser Frieden mit der Gerechtigkeit zusammen gesehen wurde. In dieser wunderbaren Malerei von Ambrogio Lorenzetti im Rathaus von Siena (1338 bis 1340), einer Darstellung der guten Regierung, wird ja die Pax als nicht eng geschnürte, frisierte Frau, eher locker auf einem Sofa ruhend, dargestellt. Sie ist nicht nur von den Frauen, sondern auch von den Männern die einzige Person, die auf den Zuschauer, ins Publikum blickt. Aber sie hört auch ins Publikum, sie hält die rechte Hand hinter ihr Ohr, das ist ganz auffallend.

Und es bleibt heute noch sehr aktuell, dass man denjenigen, den man bekämpfen möchte, vorher wenigstens in seiner Sprache und Kultur zu verstehen sucht. Es ist klar, dass man sich eine Kultur, die man überhaupt nicht versteht, zum Feind machen und sie in Kriegen zusammenschlagen kann, und es ist ein bisschen etwas Anderes, wenn man wenigstens deren Sprache und Denken versteht. Wenn ich soweit gehen darf: Die Taliban sind nicht nur Teufel, sie haben ihre Kultur, und die ist anders als die amerikanische und als die deutsche oder europäische; man darf sie nicht einfach nur zu Teufeln machen. Wenn ich höre, dass Barack Obama sagt, er wolle nach Afghanistan gehen und sich mit dem dortigen Präsiden­ten unterhalten, halte ich das schon für einen Fortschritt. Das steht sozusagen hinter der Frage: Quod est pax? Es geht eigentlich darum, das Gegenüber nicht gänzlich zu verteufeln, sondern zunächst zu versuchen, irgendetwas zu verstehen, bevor man kämpft.

Ist das, um einen Begriff von Luigi Nono aufzugreifen, eine „Tragedia dell’ascolto“, eine Tragödie des Hörens, wie dessen großes Werk „Prometeo“ im Untertitel heißt?

Das kann man schon so sagen. Wir hätten heute ja die Möglichkeit, andere Kulturen kennenzulernen und uns in sie zu vertiefen, sogar ohne hinzureisen, aus Dokumenten und so weiter. Alles ist in dieser Hinsicht offener denn je zuvor. Auch die Musik sollte sich vertiefen. Wenn sie sich nicht mehr vertieft in das, was sie übermitteln möchte, ist es auch fraglich, ob sich dann der Hörer entsprechend darin vertiefen kann, denn ein Hörer kann eine Musik ausloten, wenn sie eine gewisse Tiefe hat, aber wenn die Kunst die Oberfläche pflegt, wie man es mittlerweile nicht nur von den bildenden Künsten her kennt, wenn die Oberfläche entsprechend virtuos ist und verlockend genug ist, dann, meine ich, werden wir die Künste verderben und sie zu einer oberflächlichen Sprachlosigkeit zwingen.

Ich finde den Beginn des Stücks „Quod est pax?“ auch deshalb mutig, weil er diese Frage so direkt stellt und sie nicht irgendwie versteckt.

Bewusst lasse ich diese Worte von der Mezzosopranistin sprechen, um sie völlig verständlich zu machen. Und so wurden sie etwa auch in Warschau verstanden. Es ist ja immer problematisch, dass die Verständlichkeit, wenn man einen Text vokalisiert und eine Sprache in den Klang komponiert, nicht mehr linear gegeben ist, vor allem bei polyphoner Musik. Das ist nichts Neues. Wenn ich später in diesem Werk die französischen Texte von Jacques Derrida polyphon durchführe, können sie vielleicht nicht mehr so direkt verstanden werden, aber es gibt dennoch, glaube ich, den Moment, in dem man etwas von der „raison du cœur“ begreift, der Vernunft des Herzens.

Dieses Friedenswort, das der Philosoph Derrida am Ende seines Lebens formulierte, als er sagte, die „raison du cœur“ stehe immer auf der Seite des Lebens und des Friedens, was man von der „raison de l’intellecte“ leider nicht sagen könne, ist schon erstaunlich. Er bezieht sich hier auf Blaise Pascal, den Frieden des Herzens, und ich habe zum Schluss hinzugefügt (das ist Christentum, aber nicht nur): „C’est l’amour.“ – Das ist die Liebe. In der Hinsicht ist es auch musikalisch ein weiter Weg von dem gesprochenen „Quod est pax?“ über Derridas „la voie oubliée vers une paix, une paix véritable“ zu „c’est l’amour, la raison du cœur“. Da spannt sich ein weiter Bogen, für den Hörer, vor allem aber auch für den Komponisten, der darauf reagieren muss. Wenn ich bei der Sache bleiben wollte, musste ich das schon musikalisch vertiefen.

Wie geht man daran, ein Stück über den Frieden zu komponieren?

Das frage ich mich auch. Um von dieser „raison du cœur“, also dem Verstand, dem Geist des Herzens auszugehen: Das Herz hat etwas mit dem Gehör zu tun, nicht nur mit dem Auge. In der Hinsicht ist das eine direkte Aufforderung, etwas zum Klingen zu bringen, nicht nur in den verbalen Äußerungen, sondern in der Musik selbst. Ich wollte keine friedliche Musik schreiben, die sozusagen in einem neutralen Friedensbad schwimmt. Das wäre nicht zeitgemäß, meine ich, es muss hinterfragt werden. Menschen, die zusammen sind und sich tatsächlich zu verständigen und auszutauschen versuchen, brauchen dieses Verständnis des Herzens mindestens ebenso sehr wie den rein intellektuellen, kühlen Verstand. Deshalb geht es für mich in diesem Stück nicht um den Gegensatz von Frieden oder Krieg – darauf reflektiere ich gar nicht –, sondern darum, was den Frieden zwischen den Menschen eigentlich ausmacht oder ausmachen könnte und hoffentlich ausmachen wird.

Nach dieser ersten Phase in „Quod est pax?“, die mit den Worten „une paix véritable“ endet, folgt eine sehr heftige, laute Passage. Später schließt sich eine „musica funebre“ an, und da hinein mischt sich eine Rahmentrommel, mit einem Sufi-Rhythmus …

Ich habe mich stark mit arabischer Musik befasst, aber dabei eigentlich mehr mit der Melodik und der Intervallik als mit der Rhythmik. Ich habe also die arabischen Maqamat [Tonskalen] studiert und dabei festgestellt, dass es sehr früh schon ums Jahr 1000 eine Hochblüte der arabischen Musik und Musiktheorie gab, die damals der europäischen Musikkultur weit voraus waren. Dieses Erbe wurde durch die Kreuzzüge verschüttet, aber im Grunde genommen hätte sich die europäische Kultur ohne diese arabische Hochkultur nicht in gleicher Weise entwickeln können, also ohne zum Beispiel Avicenna und später Averroës und den jüdischen Philosophen Maimonides, die in Südspanien, vor allem in Cordoba, miteinander Kontakt hatten. Ganz Südspanien war ein Schmelztiegel. Wir haben unsere Streichinstrumente von dort, die Laute, die Gitarre, das wusste ich bereits, nicht jedoch, dass die arabische Hochblüte damals auch die Musiktheorie umfasst hat.

Das habe ich erst durch die Studien der großen islamischen Musiktheoretiker wie Avicenna, al-Kindî, al-Farabi [Abu Nasr Muhammad al-Farabi] und manch anderer erfahren, die unsere europäische Musik ohne alle Frage ge­prägt haben. Zum Glück gibt es davon französische Übersetzungen, denn sonst hätte ich Arabisch lernen müs­sen. Ich habe damals auf Anregung von Julien Jalal Weiss, dem Gründer und Leiter des „Al-Kindî“-Ensembles, im Institut du monde arabe in Paris die damals noch vergriffenen und jetzt in einem Reprint wiedererschienenen Bücher von Rodolphe d’Erlanger gewälzt und habe gestaunt, wie weit fortgeschritten die Musiktheorie zu einer Zeit war, als wir ja in Europa noch nicht so weit waren. Die Renaissance war in der Musik und vielleicht auch in der Dichtung von dieser Hochkultur beeinflusst. Auch unsere Klassiker, die Griechen und die Römer, Plato und Aristoteles, hatten wir lange in Europa vergessen. Die Mauren haben das ins Arabische übersetzt, in Toledo übertrugen es vor allem jüdische Übersetzer ins Kastilische oder Lateinische, so dass wir endlich unsere eigenen Wurzeln wieder hatten. Es ist nicht nur verblüffend, sondern auch relevant für die Frage des Friedens, dass die arabische Hochkultur, obwohl man sie bei uns als sehr kriegerisch und aufdringlich wahrgenommen hat, in Spanien eine höchst tolerante Kultur war. Die Christen konnten Christen bleiben, die Juden Juden. Sie mussten ein bisschen mehr Steuern zahlen aufs Jahr, aber es war keine unterdrückende Kultur.

Das wird ja auch heute oft in den arabischen Staaten übersehen, in denen es mehr oder weniger starke christliche Minderheiten gibt.

Nennen wir es kulturelle Toleranz, es gab daneben leider auch den religiösen Fanatismus. In Spanien hat die Kultur lange in dieser Toleranz überlebt. Und das hatte auch musikalische Auswirkungen auf Europa, nicht nur über die Instrumente, sondern auch über die Musiktheorie. Der Minnegesang kam aus Spanien. Dante hat arabische Sufi-Dichter, vor allem Ibn Arabi, in italienischen Übersetzungen gelesen. So wurde ein Funke für die „Göttliche Komödie“ gezündet. Ich möchte es nicht übertreiben und Dante darauf reduzieren, aber es ist schon interessant: Ossip Mandelstam schreibt in seinem Essay „Gespräch über Dante“, er möchte gern wissen, wie viele Sandalensohlen der politisch verstoßene Dante auf allen seinen Wegen rund um Florenz herum durchgelaufen hat, bis er seine „Göttliche Komödie“ gedichtet hatte, denn man höre dieses Schreiten durch das ganze Werk hindurch.

Kunst also ist auch ein Zeichen des Friedens.

Ein wesentliches Zeichen der Friedensmöglichkeit.

Wir sind ausgegangen von diesem Sufi-Rhythmus, der in „Quod est pax?“ auftaucht …

… mit der großen arabischen Rahmentrommel. Die Perkussionistin benützt später auch das Riqq und die Darabukka. Diese Instrumente habe ich durch Adel Shams El-Din kennengelernt, den Schlagzeuger des Ensembles Al-Kindî, durch das ich zuerst mit dieser Musik in Kontakt kam. Adel Shams El-Din wohnt in Paris, spricht ein tadelloses Französisch, hat mir alles erklärt und seine wunderbaren Aufnahmen zugänglich gemacht: Eine CD mit zweiundvierzig traditionellen arabischen Rhythmen auf zwei Instrumenten. Was da rhythmisch vor sich geht, ist unglaublich. Später habe ich die Perkussionistin Nora Thiele, die Enkelin des ehemaligen Direktors der Musikhochschule Leipzig, kennengelernt und ihr die rhythmischen Modi (Wazn) vorgegeben, die ich gerne in dem Stück haben wollte. Natürlich hat sie sie sehr reich verziert, denn die Improvisation ist ein wesentlicher Bestandteil der arabischen Tradition. Stellenweise sagte ich zu ihr: Du kannst das ganz nach deiner eigenen Vorstellung variieren, aber von da bis da musst du auf den Rhythmus der Sängerinnen und Sänger Bezug nehmen. Es gibt auch Passagen, in denen der Dirigent nach ihr dirigieren muss, weil Nora den Rhythmus exponiert. So habe ich versucht, das Stück musikalisch zu einem Friedensgespräch zu entwickeln.

Bereits der erste Golfkrieg hat mich so tief aufgewühlt, dass ich mich mit arabischer Musik befassen wollte. Über die Pariser Musikwissenschaftlerin Ivanka Stoianova bin ich zu Julien Jalal Eddine Weiss gelangt, der mir die Inter­vallik und die Stimmungen bei sich zuhause auf seinem qanun erklärt und vorgespielt hat und mich dann darauf hinwies, im Institut du monde arabe die sechs Bände von d’Erlangers „La musique arabe“ zu studieren. So saß ich ein paar Tage dort in der Bibliothek, habe mich eingelesen und mir herauskopiert, was mich interessierte. Mit Weiss habe ich dann zunächst weiter gearbeitet. Er stammt ja aus dem Elsass und hat mit klassischer Gitarre angefangen, bevor er sich in die arabische Musik vertiefte und das Ensemble al-Kindî gründete. Sein Instrument ist das qanun, eine Zither, die mit zwei Plektren an beiden Händen gespielt wird. qanun kommt vom griechischen Wort Kanon her, das qanun gibt als Gesetz die Stimmung ganz genau vor.

Für das Ensemble al-Kindî haben Sie 1992/1993 das Stück „Die Erde dreht sich auf den Hörnern eines Ochsen“ komponiert. Diese Beschäftigung mit arabischer Musik wird ebenso deutlich in „Die Seele muss vom Reittier steigen …“ Dort fließen arabische Melismen ein, dort arbeiten Sie mit den arabischen Modi und so weiter …

Wobei ich solche Modi auch in „Quod est pax?“ verwendet habe, aber nicht melodisch. Für „Die Seele muss vom Reittier steigen …“ habe ich Texte des palästinensischen Dichters Mahmud Darwisch gewählt, die ich in arabi­scher Sprache singen lasse. Es ist ja nicht ganz neu, dass Sängerinnen und Sänger in einer Sprache singen, die sie nicht selber sprechen, sie mussten sie deshalb über die Phoneme erlernen. Ich habe Mahmud Darwischs Texte zufällig auf einer Doppelseite in „Le Monde diplomatique“ entdeckt und mir dann die gesamte franzö­sische Übersetzung dieses monumentalen Gedichts „Die Belagerung“ (2002, Ramallah) mit dem arabischen Original daneben verschafft. Schon früher hatte ich mich immer mit der Palästina-Problematik beschäftigt, ohne darauf je kompositorisch direkt Bezug zu nehmen, aber durch die Entdeckung der Poesie von Mahmud Darwisch konnte ich dem dann nicht mehr ausweichen. Es war einfach eine Herausforderung, mich eingehender darauf ein­zulassen.

Was für Auswirkungen hatte das auf Ihr Komponieren, als Sie mit diesen arabischen Elementen gearbeitet haben?

Es hat mich sehr aufgerüttelt, aus jeder Bequemlichkeit herausgeholt.

War es schwierig, diese arabischen Elemente in Ihre Tonsprache zu integrieren?

Ich war ja sowieso damit beschäftigt, aus der Chromatik auszubrechen. Die gleichschwebende Temperierung der klassischen europäischen Musik hat mich immer schon ein bisschen irritiert.

Schon früh, zum Beispiel in „Alveare vernat“ aus dem Jahr 1965, arbeiten Sie mit Dritteltönen.

Ja, und in „Auf die ruhige Nacht-Zeit“ mit nicht-temperierten Intervallen. Bei der deutschen Erstaufführung beim Weltmusikfest [1960] in Köln musste ich die Musiker erst einmal bitten, die kleinen Sexten rein zu spielen. Sie haben diese kleine Sexte, die dabei sehr im Vordergrund steht, viel zu temperiert gespielt und gesungen.

Das stimmige Intervall hat mich schon sehr früh, schon im Oratorium „Soliloquia“, in „Des Engels Anredung an die Seele“, in „Alveare vernat“ für Flöte und zwölf Solo­streicher beschäftigt. In „Alveare vernat“ werden die Drittel­töne aber eher als Farbe eingesetzt, weil ich den gregori­a­­nischen Cantus firmus ein bisschen färben wollte.

Jedenfalls war für mich das Intervall schon immer zentral: Weniger die Zwölftonreihe als das Intervall. Man kann übrigens auch bei anderen Zwölftonkomponisten genau beobachten, ob sie ein besonderes Verhältnis zum Intervall hatten; sie haben anders komponiert, als wenn für sie das Intervall sekundär war. Das kann man bei Alban Berg feststellen oder auch bei Anton Webern. Der Schweizer Dirigent Erich Schmid, der bei Arnold Schönberg studierte und mit Webern befreundet war, erzählte mir, Webern habe ihm seine zwölftönige Sinfonie auf Tonika- oder Dominantbeziehungen hin analysiert; er arbeitete also noch mit tonalen Assoziationen und zwar anhand der tiefsten Basstöne. Das ist interessant, weil die Basstöne ja tatsächlich Spektren bilden.

Wenn also der Komponist Giacinto Scelsi in einem seiner Gedichte schreibt (er hat sich ja selber als Dichter fast ernster genommen): „C’est le ton qui fait la musique“, würde ich stattdessen sagen: „C’est l’intervalle qui fait la musique“, und zwar nicht nur Tonhöhenintervalle, sondern auch rhythmische Intervalle et cetera. Die Interdependenz der Intervalle bildet die musikalische Sprache, sie vertieft oder verflacht sie aber auch. Wenn man – das ganz am Rande – die gängige Unterhaltungsmusik in den Medien betrachtet, so stellt man einen unglaublich simplifizierten Zwang zum Wiederholen der kleinsten Elemente fest, die sich dauernd im Kreise drehen. Das ist das pure Gegenteil dessen, was Musik, wie ich meine, zu bieten hat.

Aus dieser jahrelangen Beschäftigung heraus ließen sich auch die arabischen Intervalle sehr gut in Ihre Tonsprache integrieren.

Ja, aber es hat sie natürlich auch erweitert. Ich war mir da einiger Beziehungen vorher gar nicht bewusst: In den arabischen Maqamat, den verschiedenen Modi, spielt ja die reine kleine Terz und deren Teilung in zwei „gleiche“ Dreivierteltonintervalle (10 : 11/11 : 12) eine große Rolle. Das hat mich besonders interessiert. Der Bieler Musikwissenschaftler und Rundfunkredakteur Kjell Keller hat mich einmal darauf angesprochen, ob das vielleicht etwas mit meiner Jugend und dem Alphorn zu tun habe. Das könnte tatsächlich sein, denn mein Vater war begeistert vom Alphorn-Fa, dem elften Oberton. Wenn wir das Alphorn auf dem Hasliberg im Berner Oberland hörten, sagte er: „Hör jetzt, Chläusu, jetzt spielt er das Fa!“ Das hat auch mich fasziniert. Dieses Alphorn-Fa erscheint also nicht nur in der arabischen Kultur, aber dort ist es eben ein zentrales Intervall. Die arabischen Musiktheoreti­ker sagen, dieses Intervall sei weniger dissonant als der Halbton. Der Halbton kommt ja später in der Oberton­reihe. Und das hat schon etwas. Ich habe dieses Intervall dann auf der Geige und auf der Bratsche gespielt und auch gesungen.

Und das führt anderswohin als ein Halbton – oder ein Drittelton. In dieser Hinsicht wurde das „Cembalo universale“ für mich wichtig, das ich durch den Organisten Harald Vogel kennengelernt habe. Er war einer der ersten, der sich wieder für jene Cembali mit neunzehn Tasten pro Oktave, also mit unterteilten Tasten, interessierte, die da und dort in den Museen stehen, aber nicht mehr gespielt und gestimmt werden. Er fragte bei allen Cembalobauern in Deutschland nach, ob sie ihm eines nachbauen würden, stieß aber auf Unverständnis. Man dachte, es sei sinnlos, das Instrument breche zusammen. Schließ­lich machte er den amerikanischen Cembalobauer Keith Hill ausfindig, der ihm ein solches Instrument (nach der Beschreibung von Michael Praetorius von 1619) nachbaute und es nach Nicola Vicentino stimmte, so dass eben das cis und das des auseinanderliegen.

Guillaume Costeley, der französische Komponist, beschreibt seine Entdeckung als Dritteltönigkeit, denn darum handelt es sich bei ihm. Es sind neunzehn Töne pro Oktave, achtzehn wären ein bisschen einfacher. Und die Intervalle sind, gemäss einer spiralartigen Folge von rei­nen kleinen Terzen, gleich gestimmt. Wenn man diesen reinen kleinen Terzen folgt, gelangt man nach neunzehn Tönen wieder in die Oktave. Dies ist Costeleys geniale Entdeckung. Das habe ich einmal einem Akustiker, der mit Karlheinz Stockhausen zusammenarbeitete, spätnachts nach einem Vortrag in Köln erzählt. Er sagte: „Klaus, da hast du dir aber einen Bären aufbinden lassen, das kann doch niemals stimmen“, begann aber nachzurechnen und gab dann zu: „Das ist ja unglaublich, es stimmt fast ohne Komma. Warum hat man das versteckt? Warum wissen wir das nicht?“ Warum hat man das vergessen, wenn es bereits Guillaume Costeley in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts genau beschrieben hat? Weil man sich nicht mehr dafür interessierte. Auf ähnliche Weise benützen die arabischen Maqamat siebzehn Töne pro Oktave.

Die Stimmung nach Costeley hat mir damals Harald Vogel auf dem zweiten Manual des Cembalos eingestimmt, und auf dem ersten Manual jene nach Vicentino, auf der ich Carlo Gesualdo, der mich ebenso sehr beschäftigt hat, spielte, vor allem seine Responsorien, über die ich ja gearbeitet habe. Es war sehr, sehr großzügig von Harald Vogel, dass ich das Cembalo im Organeum, einem Instrumentenmuseum in Weener im südlichen Ostfriesland, nicht weit von der holländischen Grenze, nächtelang studieren durfte. Nach sechs, sieben Tagen musste ich eine Pause machen, denn es ist für das Gehör eine ungemeine Beanspruchung, sich auf diese Stimmungen einzulassen. Das geht sozusagen ins Endlose. Dadurch jedoch wurde mein Ohr auch in einer Weise aufgeweckt und sensibilisiert, dass ich später damit komponieren konnte. Und dabei musste ich feststellen, dass das unglaublich anders klingt, als wenn man Gesualdo gleichschwebend spielt. Vogel erklärte mir, dass sich Gesualdo nie täuscht: Wenn er ein cis schreibt, meint er ein cis, und wenn er ein des schreibt, meint er ein des. Wenn man Gesualdo auf einem so gestimmten Instrument spielt, klingen die Dur-Dreiklänge in allen Tonarten dermaßen rein und leuchtend wie das reine Licht, aber die Dissonanzen beißen noch viel mehr, es bewirkt also eine Polarisierung. Diese Superchromatik Gesualdos, bei der das des eben höher ist als das cis, hat mich in der Folge sehr beschäftigt.

Sie haben diese Stimmung dann auch in den „Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Jesualdi“ für sechs Singstimmen und zwei Instrumente (1993/1997) verwendet, die Sie gleichsam als moderne Ergänzung zu den Gesualdo-Responsorien komponierten.

Diese „Lamentationes“ habe ich für Les Jeunes Solistes geschrieben. Rachid Safir, der Leiter dieses Vokalensem­bles, sagte mir später, dass die Teile, die ich nach dem Studium des Cembalo universale komponiert habe, besser rein zu singen seien als das, was ich vorher gemacht habe. Deshalb habe ich dann den Anfang des Werks punkto Kreuze und Bs noch genauer ausnotiert.

Es gibt in Ihren Werken immer wieder Momente und Sätze, in denen Utopien aufscheinen, so in der Derrida-Passage von „Quod est pax?“ oder im „Senfkorn“ im großen Orato­rium „Erniedrigt – Geknechtet – Verlassen – Verachtet …“. Andere Komponisten werden bei solchen Stellen laut, groß und majestätisch. Ihre Musik jedoch wird, so scheint mir, kammermusikalisch, sehr fein, zart, fast zerbrechlich. Oft jedenfalls.

Es könnte etwas damit zu tun haben, dass dieses: „Ich beherrsche die Materie, ich beherrsche die Intervallik, ich beherrsche die Musik!“, dass eine solche Dominanz ­eigentlich nicht mit „Quod est pax?“ und „Vers la raison du cœur“ vereinbar ist, weil sich diese Dominanz ja selber behaupten will. Es gibt Musik, die sich behauptet, sich in diesem Sinne aufdrängt und den Hörer sozusagen bis zum Tiefsten in die Defensive drängt, so dass der Hörer nichts mehr mitzuarbeiten hat. Mir aber schwebt vor, dass der Hörer durch meine Musik angeregt wird, sein Ohr zu öffnen und mit seinem Ohr etwas beizutragen. Resonanz ist etwas, das nicht unbedingt mit Gewalt erreicht werden kann. Wenn etwas resoniert, dann schwingt es eben mit. Und ich glaube, dass Musik ohne diese Resonanz auch im transzendenten Sinne zu einer aggressiven Oberfläche neigen kann.

Wenn ich drei Ihrer Werke nebeneinander stelle: „Des Engels Anredung an die Seele“, das „Senfkorn“ und jetzt wieder „Vida y muerte no son mundos contrarios“ für Countertenor und Violoncello: Das sind alles ähnlich zarte Gebilde, die plötzlich innerhalb ihres Kontexts zu leuchten beginnen.

Es mag mit meiner Wesenheit zusammenhängen, dass ich die klingende Stille sehr liebe. Das muss nicht unbedingt mit dem Berner Oberland und dem Alphorn zu tun haben, aber vielleicht damit, dass ich in meiner Kindheit viel Stille wahrgenommen habe – auf dem Bauernhof in der Scheuermatt bei Belp, nicht weit von der Stadt Bern, aber ganz ländlich eben, oder auch später, weil ich mich in der Geräuschhaftigkeit einer Stadt oder eines Hochbetriebs nicht so zuhause fühle, aber dafür in dem kleinen umbrischen Städtchen Panicale, wo wir unser Haus besitzen.

Ihr Schaffen bewegt sich oft über einige Jahre hinweg um ein Thema herum. Es gab Zeiten, in denen sich die Musik um Texte von Ernesto Cardenal oder um jene von Ossip Mandel­stam drehte, es gibt in den letzten Jahren die zentralen Themen Frieden und Toleranz. Einzelne Werkteile kehren sogar in unterschiedlichen Zusammenhängen wieder. Im „Mi­se­rere hominibus …“ gibt es gleiche Teile wie in „Quod est pax?“ und damit sehr starke Verbindungen untereinander – auf fast obsessive Weise.

Ja, fast obsessiv. Damit bin ich ja nicht der Einzige. Wenn man sich intensiv mit etwas befasst, kann es schon sein, dass es sich sozusagen ins Innere drängt und einen großen Raum in der Vorstellung und in dem, was man gerne ausarbeiten möchte, einnimmt. In dieser Hinsicht habe ich immer dann und wann auf etwas fokussiert. Aber es gibt auch Komponisten, die, wenn sie einmal etwas gefunden haben, zehn oder zwanzig Jahre oder das ganze Leben lang dabei bleiben. Das habe ich nie gekonnt. Ich musste mich ändern. Das kann auch damit zusammenhängen, dass ich weitergehen und infragestellen wollte, dass ich die Musik erweitern, aber eben auch vertiefen wollte, um eben diese Resonanz sozusagen mehrdimensional zu gestalten.

In die Tiefe weiterzugehen, tatsächlich. Man hört ein Werk und dann ein anderes, schafft Verbindungen. Das ergibt auch jedes Mal einen anderen Blick auf ein Thema.

Vielleicht hat es, das würde ich schon sagen, zugenommen, dass ich auf Aussagen zurückkomme, die ich schon gemacht habe, dass ich sie noch einmal umgestalte und rekomponiere. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass ich in neue musikalische Dimensionen oder Welten eingetreten bin, die ich nicht auf einen Schlag auskomponieren konnte, wie ich es eigentlich wollte. Ich wollte in verschiedensten Richtungen weiterarbeiten. Rekompositionen finden sich in meinem Schaffen früher nicht so häufig.

Zum Beispiel „Die Seele muss vom Reittier steigen …“: Davon gibt es die Urfassung mit Countertenor, Violoncello, Baryton und siebenunddreißig Instrumentalisten. Das Cello war von allem Anfang an führend, denn der eigentliche Anstoß kam von Walter Grimmer, der etwa dreißig Jahre lang zu mir sagte: „Jetzt schreib doch endlich ein Cellokonzert. Du hast mit ,Tempora‘ ein Geigenkonzert geschrieben, dann das Bratschenkonzert ,… ohne Grenze und Raum …‘ und sogar ,Erinnere Dich an G…‘ für Kontrabass und Ensemble. Wo bleibt denn das Cellokonzert?“ Und schließlich habe ich es gewagt und zu skizzieren begonnen. Dann habe ich über Christophe Coin das alte Streichinstrument, das Baryton, entdeckt, das mich sofort faszinierte – ich habe mich ja zuvor auch schon mit der Viola d’amore befasst. Und so fragte ich endlich Armin Köhler, den Redakteur der Donauschinger Musiktage, ob ich vielleicht ein Doppelkonzert mit Cello und Baryton schreiben dürfe. Ja, das sei hochinteressant, meinte er. Dann aber kamen Texte von Avicenna auf mich zu und schließlich Mahmud Darwisch, und so dachte ich: Eigentlich müsste ich noch eine Singstimme, einen Countertenor, dabei haben. Auch das ging. So kam dieses Tripelkonzert zustande. Dazu habe ich ein Orchester mit siebenunddreißig Musikern besetzt, darunter einige mit Barockinstrumenten, die zum Baryton passten. Von dieser ersten Fassung stellte ich, weil mir so viel an der Aussage des Stücks lag, eine Reduktion her, in der das Concertino gleich bleibt, aber das Orchester nur noch aus neun Instrumenten besteht. Diese Version trägt den französischen Titel: „À l’âme de descendre de sa monture.“ Allerdings habe ich auch die Besetzung der Singstimme geöffnet: Countertenor oder Altstimme. Später entstand eine noch kleinere Fassung für die drei Solisten, ein Akkordeon, das im linken Manual über Dritteltöne verfügt, und ein oder zwei Schlagzeuger.

Mahmud Darwisch hat die große Fassung in Paris gehört. Und damals haben Sie auch mit ihm gesprochen. Was hat er gesagt?

Er war fasziniert und tief berührt. Er fand, das Stück würde seine Poetik ernst nehmen. Ich habe ihn dummerweise gefragt, ob man das Arabische gut verstanden habe. Kai Wessel sang diese Pariser Erstaufführung. Er habe einen Satz verstanden, sagte Darwisch: „Die Trunkenheit des Lichts, das Licht des Schmetterlings in der Schwärze dieses Tunnels.“ Das ist doch wunderbar. In anderer ­Musik versteht man auch nicht allen Text (lacht). Er fand es ganz unproblematisch.

Es ist ein wunderbares Stück.

Danke.

Es verbindet verschiedene Kulturen und Epochen: Avicenna steht dahinter für die muslimische Tradition, Mahmud Darwisch für die Gegenwart. Es finden sich darin Kanontechniken aus der mittelalterlichen europäischen Musik, aber auch avantgardistische Kompositionstechniken. Neben modernen Instrumenten werden barocke gespielt. In Ihrer Musik kommen so die verschieden­sten Epochen zusammen. Ist das, so meine Assoziation, eine sehr persönliche Formulierung jener „Kugelgestalt der Zeit“, wie sie der deutsche Komponist Bernd Alois Zimmermann in den sechziger Jahren geprägt hat?

Ja, das würde ich ohne weiteres akzeptieren. Für mich ist das Vergangene gerade, was die Musik angeht, gegenwärtig. Alles, was noch erklingt, hat eigentliche Gegenwart. Wenn man Musik nur noch lesen würde, wäre es ein bisschen anders. Diese historische Tiefe, ernstgenommen auch als eine profondeur der Gegenwart: Das darf eigentlich, wenn irgend möglich, nicht verlorengehen. Wenn Kultur sozusagen auf ein Dezennium oder zwölf Jahre schrumpfen würde, worauf schon die nächste Kultur folgt, die mit vorher und nachher nichts zu tun hat, dann wäre der Mensch ziemlich bald sehr arm dran. Das wäre eine Verarmung. Auch in den anderen Kulturen gibt es ja diesen kulturellen Hintergrund, etwa in Korea, woher meine Frau Younghi Pagh-Paan stammt. Auch im modernen Korea bildet die historische Kultur immer noch den Hintergrund und wirft ihr Licht auf die Gegenwart, selbst wenn das Land heute viel amerikanisierter ist als zu der Zeit, als sie ein Kind war. Aber wenn diese profondeur du temps einmal nicht mehr im Innersten wahrgenommen würde, dann, meine ich, wäre eigentlich „la raison du cœur“ auch zusammengeschmolzen.

Es braucht irgendwo diese Vorstellung, dass die Zeit etwas ist, das, wenn man sie auf die Gegenwart reduziert, nicht als wirkliche volle Zeit erlebt werden kann. Deshalb habe ich ja auch Probleme mit dem reinen Materialismus. Wenn es nur noch darum geht, das musikalische Material zu erneuern und es immer auf den neusten Stand zu bringen, frage ich mich: Wo bleibt dann die Transzendenz? Da müsste man einmal nachlesen, was Avicenna über das Material gesagt hat. Dazu gibt es ein hochinteressantes dünnes Büchlein von Ernst Bloch: „Avicenna und die Aristotelische Linke“, 1949 zu einem Avicenna-Jubiläum noch in Leipzig geschrieben. Dass Bloch damals all diese Quellen fand, hat mich erstaunt. Dort arbeitet er sehr genau heraus, dass Avicenna eigentlich schon sehr früh formuliert hat, dass die Materie ewig ist und Allah dann daraus die Schöpfung schuf. Damit ist das Problem der Transzendenz positiv aufgehoben. Bloch reflektiert anhand der verschiedensten Texte von anderen arabischen Denkern wie Averroës und bis zu Giordano Bruno durch, dass eigentlich die Vorstellung, Transzendenz habe mit der Materie nichts zu tun, nicht stimmt, denn die Materie sei genauso ewig. Das hat mich seinerzeit außerordentlich fasziniert, und das ist dann ein bisschen etwas anderes als die Kugelgestalt der Zeit. Wie könnte man das bezeichnen? Irgendwie entsteht dadurch zwischen Geist und Materie nicht jener radikale Widerspruch, den die Religionen aufgebaut haben.

Darf ich zu Geist und Materie noch die Seele hinzunehmen?

Ja. sicherlich!

„Seele“: dieses Wort taucht immer wieder bei Ihnen auf, in den Titeln der Stücke „Des Engels Anredung an die Seele“ und „Die Seele muss vom Reittier steigen …“, „… Vers la raison du cœur“, aber auch in den vertonten Texten. Es geht um die Seele, aber auch um den Verlust der Seele, bis hin zu dem Satz „Unsere Seelen verändert der totalitäre Markt“ im „Miserere hominibus …“ von 2007.

„Unsere Seelen verändert der totalitäre Markt. Selbst wenn er es nicht wollte, er tut es. Wachstum über alles.“ Das ist ein Text von Carl Amery („Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt“; 2002), den ich leider nicht mehr getroffen habe. Ja, ich habe dann und wann unterstrichen, dass ich mir eine Musik ohne Transzendenz nicht vorstellen kann. Avicennas mutige Behauptung ist deshalb so gewaltig, weil dort der Widerspruch zwischen Materie und Transzendenz sozusagen ausgeblasen wird: Eigentlich kann doch alles transzendieren. Das ist „la profondeur de l’âme“: dass eine Seele nur dann wirklich einen umfassenden Gehalt hat, wenn sie die Tiefe hat. Ich glaube, dass das nicht übertrieben ist.

Das habe ich immer betont, auch wenn ich durchaus – man denke an „Erniedrigt – Geknechtet – Verlassen – Verachtet …“ – ein linker Komponist bin und also in einer Linie mit der Theologie der Befreiung, mit Ernesto Cardenal und mit Dorothee Sölle stehe. Es gab ja eine Zeit in unseren Kulturen, als man glaubte, der Mann habe eine Seele, aber die Frau nicht. Jetzt haben Mann und Frau eine Seele, aber das Tier hat doch keine – aber wie wollen wir das wissen? Ich nehme an, die Tiere haben auch eine Seele, eine andere, aber es gehört alles zusammen, alles, was lebt. Und was ist Leben? Man könnte ja eigentlich auch sagen, dass das Weltall beseelt ist. Man kann das glauben. Es ist nicht nötig, dafür im CERN das Partikelchen „Deus“ zu finden, für den Big Bang sozusagen den Deus ex machina, der die ganze Schöpfung verursacht hat. Das ist schon bei Avicenna nicht nötig, und in dieser Hinsicht, finde ich, ist dieser Widerspruch zwischen Spiritualität und Materialität unserer Zeit nicht mehr gemäß.

Das Gespräch fand am 15. November 2008 in Basel statt.