MusikTexte 124 – Februar 2010, 57–63

Wider den Utopieverlust

Mathias Spahlingers „doppelt bejaht“ beschreitet neue Bahnen

von Rainer Nonnenmann

Der Autor des folgenden Texts hat im Programmheft der Donaueschinger Musiktage 2009 einen Kommentar zu Mathias Spahlingers „doppelt bejaht“ in erster Linie auf der Grundlage der Kenntnis der „Übersichtsblätter“ dieses Werks sowie der dazu gehörenden aufführungspraktischen Anweisungen veröffentlicht. Es ist daher naheliegend, wenn derselbe Autor nach den bei der Generalprobe und der Uraufführung gewonnenen zusätzlichen Eindrücken einen weiteren Text folgen lässt. Der vorliegende Beitrag soll mittels des nun möglichen Abgleichs von Idee und Umsetzung, Theorie und Praxis, Utopie und Wirklichkeit das Porträt dieses außergewöhnlichen Orchesterprojekts darstellen. MT

Aber die Abschaffung der Partitur und die Freisetzung der Leute [bei John Cage] bleiben doch auch bloß wie auf einem Bild, solange nicht die Türen des Konzertsaals von innen aufgestoßen und die Dirigenten draußen in der Welt, die nach einer ganz anderen Partitur kommandieren, mit ebenso viel Glück abgeschafft werden.

Heinz-Klaus Metzger „Kölner Manifest“ (1960)

Bereits 1993 formulierte Mathias Spahlinger mit „vorschläge – konzepte zur ver(über)flüssigung der funktion des komponisten“ achtundzwanzig verbale Spielregeln für Gruppen von Schülern oder Musikern, die sich auf dieser Grundlage selbständig Musik einfallen lassen und die anfänglich gesetzten Regeln irgendwann eigenverantwortlich aufheben sollten. Und so wie Spahlinger mit den „vorschlägen“ beitragen wollte „zur verallgemeinerung des einstweilen einseitigen rechts, sich etwas einfallen zu lassen“, zielt er nun in seinem jüngsten, soeben bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführten Orchesterprojekt „doppelt bejaht“ mit der Verüberflüssigung des Dirigenten auf eine radikale Verflüssigung der eingefahrenen Verhältnisse der musikalischen Produktion, Interpretation und Rezeption. Abermals gehen hier seine kompositorischen Versuche, die Musik von unhinterfrag­ten Konventionen und a priorischen Setzungen zu befreien, ins Grundsätzliche. Die materialkritische Dekomposi­tion konventioneller Aufführungs- und Wahrnehmungs­bedingungen begreift Spahlinger als Teil eines umfassenden Aufklärungs- und Emanzipationsprozesses. So soll das über die eigenen Bedingungen aufgeklärte Schreiben, Machen und Hören von Musik in Umkehrung eines seiner Leitsätze – „das nicht in-sich-reflektierte ist das falsche“ – durch eben diese Selbstreflektiertheit sein „Richtiges“ gewinnen.

In seinen neuesten „etüden für orchester ohne dirigent“ – so der Untertitel von „doppelt bejaht“ – geht es Spahlinger um das Aus- und Vorführen verschiedener musikalischer Problem- und Aufgabenstellungen: erstens um konzeptionelle Anforderungen an sich selbst als Komponist, der diese Probleme so klar und materialgerecht wie möglich zu formulieren und zu notieren hatte und der neben vielen neuen Konzepten auch einige seiner zunächst für Laien gedachten „vorschläge“ durch konkrete Spielregeln, Besetzungsvorgaben und Parameterfestlegungen auf ein professionelles Symphonieorches­ter übertragen musste; zweitens um spielerische Einübungen der zweiundfünfzig Instrumentalisten in das gemeinsame Musizieren ausschließlich auf der Grund­lage von gegenseitigem Hören, Sehen, Signalisieren und Interagieren unter Entfaltung sowohl individueller als auch gruppendynamischer Spontaneität ohne koordinierende Zentralstelle eines Dirigenten; und drittens um ein öffentliches Wahrnehmungsexperiment für die Hörer, sich die Klanglichkeit und Wirkungsweise des resultierenden „Orchester-Environments“ – so Armin Köhlers Charakterisierung dieses Projekts – frei von den zeitlich-räumlich normierten Perspektivvorgaben eines traditionellen Konzerts zu erschließen. Ein Dirigent ist hierbei insofern überflüssig, als schon der Komponist seine Rolle als alles beherrschende Instanz aufgegeben hat. Statt sämtliche Abläufe exakt vorzuschreiben, die dann von einem Dirigenten schlagend umzusetzen wären, überlässt Spahlinger es der Selbstorganisationsfähigkeit der Musiker, unter wechselnden konzeptionellen Vorgaben die Musik in Detail und Großform auszugestalten. „doppelt bejaht“ existiert nicht als fixierte Partitur, sondern in vierundzwanzig Übersichtspapieren, deren teils graphische, teils verbale und in Ausschnitten konventionelle Notation exemplarische Klangstrukturen, Situationen und Wandlungen beschreiben, welche die Musiker mit Hilfe eines für jeden einzelnen bereitgestellten Tonhöhenvorrats herzustellen haben.

Das Unternehmen steht in einer längeren Tradition. Nach 1945 wurde immer wieder einmal versucht, die hier­archische Arbeitsteilung des Sinfonieorchesters aufzusprengen, dessen Strukturen und Praktiken sich seit 1800 nicht nennenswert gewandelt haben. So hatte schon John Cages „Concerto for Piano“ von 1951 den Dirigenten zum bloßen Uhrwerk degradiert und den Musikern nahe­zu völlige Gestaltungsfreiheit gelassen. Es folgten Orchesterstücke von Earle Brown, Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagel, Dieter Schnebel, Vinko Globokar, Michael Gielen, Hans Zender und anderen. Als Komponisten im Zuge der allgemeinen Politisierung durch die achtundsechziger Studentenbewegung das Orchester verstärkt als soziales Gefüge zu begreifen begannen, problematisierten sie den Klangkörper als kollektive Zwangsgemeinschaft vieler Einzelmusiker. Mit oft mehr pädagogischen denn kompositorischen Ambitionen stellten sie die strikte Befehlshierarchie, Arbeits- und Kompetenzverteilung innerhalb des Orchesterapparats ebenso in Frage wie den Mangel an künstlerischer Mitbestimmung und die starren tarif- und arbeitsrechtlichen Organisations- und Verwaltungsstrukturen. Die Musiker wurden sowohl räumlich als auch intellektuell mobilisiert, in Diskussio­nen verstrickt sowie zu eigener Kreativität und künstlerischer Mitverantwortung aktiviert, indem sie beispielsweise Frei­räume zur mehr oder minder improvisatorischen Ausgestaltung bestimmter Parameter oder einzelner Passagen erhielten. Ein Vorbild fand Spahlinger für sein „doppelt bejaht“ in Hans Wüthrichs Stücken „Kommunikationsspiele“ von 1973 und „Netzwerk I–III“ von 1982 bis 1989, die das Orchester als kybernetisches System behandeln, das sich ohne Taktstock-Fuchtelei als quasi-sozialer Organismus selbst steuert. Diesem Schweizer Freund und „wegbereiter der orchestermusik ohne dirigent“ hat Spahlinger sein „doppelt bejaht“ gewidmet.

Selbstorganisation

Im Gegensatz zu früheren orchestralen Emanzipationsversuchen möchte Spahlinger den Musikern nicht bloß Mitbestimmungsrecht in Einzelentscheidungen verleihen, sondern ihnen die volle Verfügungsgewalt zu eigenständiger Ausgestaltung des gesamten Klangresultats überlassen, das sie dann auch weitgehend selbst zu verantworten haben. Statt die Musiker nur Akzidenzien oder Nuancen von Dynamik, Timbre, Tempo interpretieren zu lassen, sollen sie gemeinschaftlich die wesentlichen Eigenschaften und Entwicklungen der Musik bestimmen. Von vorangegangenen Neukonzeptionen des Orchesters unterscheidet sich „doppelt bejaht“ auch dadurch, dass es sich nicht in der pädagogisch, politisch oder psycho-sozial motivierten „Befreiung“ der „Tutti­schweine“ von der Knute des Komponisten und Dirigenten erschöpft, sondern auf eine konzertreife Präsentation zielt, deren Klanglichkeit sich dem Publikum genauso mitteilen soll wie die Kybernetik der eigendynamischen Steuer- und Regelungsvorgänge zwischen den Musikern. Im Unterschied zu vielen Projekten der Concept Art erschöpft sich „doppelt bejaht“ nicht einfach in konzeptuellen Modellen, sondern führt mit der praktischen Aufführung exemplarischer Klangstrukturen letztlich zu Resultaten, die weit über das hinausgehen, was sich in den Konzeptpapieren modellhaft skizziert findet. Während sich manche Konzeptstücke in einer Grundidee erschöp­­­fen, deren Kenntnis ihre tatsächliche Aufführung oft über­flüssig macht, weil das Resultat erwartbar ist, bewirkt die Aufführung von „doppelt bejaht“ ein weit komple­xe­res Klangergebnis als die einzelnen Konzeptpapiere zunächst absehen lassen. Die vierundzwanzig Modellstrukturen sind eine Mischung aus Konzeptkompositio­nen und Kommunikationsspielen.

Ein reines Konzeptstück ist beispielsweise Nummer 15 „ritardando moltissimo“. Auf Kommandos des Konzertmeisters beginnen alle Musiker gleichzeitig so schnell wie möglich, eine beliebige Tonhöhe aus einem mikrointervallischen Tonvorrat zu repetieren, um innerhalb wech­selnder Zeitdauern zwischen vier Sekunden und zwei Mi­nuten in je eigenem Tempo zu ritardieren. Die anfangs dicht bewegten, massiven Akkord- beziehungsweise Impulsketten dünnen zunehmend aus, bis sie in ein Feld total versprengter Einzeltöne zerfallen (Notenbeispiel unten). Während die Musiker hier rein konzeptuell möglichst unabhängig und ohne aufeinander zu hören agieren, sollen sie in Nummer 9 „unisono mit abweichungen“ gemeinsam im vieloktavigen Tutti-Unisono kurze Tonfolgen spielen, um nach und nach in Artikulation, Tempo, Rhythmus, Tonhöhe davon abzuweichen oder Töne auszulassen und zu vertauschen (Notenbeispiel oben). Sowohl das kollektive Unisono als auch die individuellen Abweichungen davon sind nur möglich, wenn die Musiker kommunikativ aufeinander hören und reagieren.

Die Besetzung der vierundzwanzig Konzeptpapiere stellt Spahlinger weitgehend frei. Gelegentlich macht er Vorgaben zu obligaten Instrumenten, zu fest vorgeschriebenen Instrumentenfamilien, komplettem Tutti oder Instrumentenkombinationen bei sonst freier Beteiligung aller übrigen Musiker. Zudem verwendet er relative Ein- und Ausschlusskriterien, indem er beispielsweise lange Dauern, Glissandi, Mikrointervalle oder bestimmte Tonlagen vorschreibt, die nur bestimmte Instrumente spielen können. Von Konzept zu Konzept ergeben sich dadurch immer andere Farben, Dichtegrade und Besetzungen, von Soli und kammermusikalischen Formationen bis zum vollen Tutti mit symphonischer Opulenz. Jedes Konzept demonstriert ein exemplarisches musikalisches Grund­muster, Bewegungs- oder Spannungsverhältnis. Alle vierundzwanzig Modellstrukturen beschreiben proto­typische Ordnungen und Prozesse, mit denen sich Spahlinger schon seit Jahren auseinandersetzt und die alle seinem an Theodor W. Adorno orientierten Definitionsversuch entsprechen, neue Musik sei in allen ihren wesentlichen Eigenschaften „bestimmte Negation“ der verfestigten Konventionen der traditionellen Musik. Im Gegensatz zu seinen vorangegangenen Werken hat Spahlinger in „doppelt bejaht“ die modellhaften Strukturen der neuen Musik wie in einem Katalog versammelt und erstmals nicht auskomponiert. Stattdessen lässt er sie von den Musikern nach prägnanten Übersichtsgraphiken und Tonvorratstabellen selbstverantwortlich aufbauen. Unter ständigem Abgleichen der bereits erzielten Klangresultate mit den formulierten Aufgaben sollen die Musiker die Klangstrukturen gemeinschaftlich und selbständig generieren. Und ab einem gewissen Zeitpunkt sollen sie die von ihnen geschaffenen Strukturen so bereichern, stören oder abwandeln, dass sich diese schließlich in eine der anderen dreiundzwanzig Klangkonstellationen auflösen.

Verzweigungen

Die Abfolge der vierundzwanzig Arbeitspapiere ist nur bedingt frei. Zwar kann mit jedem beliebigen Konzeptpapier begonnen werden, doch sogenannte „Verzweigungen“ am Ende eines jeden Papiers schreiben verbindlich jeweils drei Möglichkeiten vor, wie die Instrumentalisten die von ihnen kollektiv geschaffenen Situationen abwandeln und sukzessive in eines von drei anderen Konzepten transformieren können. Spahlinger nimmt damit eine pragmatische Einschränkung vor, denn jedes Modell besteht aus irreduziblen musikalischen Eigenschaften und könnte deswegen durch graduelle Veränderungen zu allen anderen dreiundzwanzig Modellen verwandelt werden. Dank der gesetzten Einschränkung entfaltet sich das Geschehen nun nicht wahllos von einem Punkt zu jedem x-beliebigen anderen, sondern qua Entscheidung der Musiker an jeder Schnittstelle nur in eine von drei möglichen Richtungen. Mit freier oder gelenkter Improvisation hat das – trotz Spahlingers bekannter Liebe zum Free Jazz – wenig zu tun. Die klaren und jeweils auf wenige Eigenschaften reduzierten Problemstellungen sollen eine offene und relativ unfestgelegte Verständigung zwischen den Musikern provozieren, damit diese ein Gemeinschaftsresultat herbeiführen, kontrollieren und ausgestalten, das letztlich weder improvisierbar noch komponier- und notierbar ist, sondern sich nur als Prozess konzipieren lässt. Tatsächlich ist die metrisch-rhythmische Komplexität vieler der Modell­situationen im konventionellen Fünfliniensystem überhaupt nicht oder nur mit absurd großem notations- und spieltechnischem Aufwand darstellbar. Eine Struktur wie Modell 5 „unendlich viele tempi“, bei der alle Musiker in einem eigenen regelmäßigen Tempo Pulse repetieren sollen, lässt sich innerhalb der üblichen taktmetrischen Proportionen kaum annäherungsweise darstellen und von Noten gespielt nur mit höchstem Probenaufwand erreichen. Dagegen ist es den Musikern ein Leichtes, dieselbe polymetrische Konstellation frei zu spielen.

Die Funktionsweise der Verzweigungen lässt sich am besten an Beispielen verdeutlichen. Konzeptpapier 3 „klangband oder unendlich viele tonhöhen“ schreibt vor, dass nur Musiker, die auf ihren Instrumenten lange Dauern spielen können, mit unterschiedlichen Liegetönen individuell ein- und aussetzen, ohne sich abzustimmen oder Rhythmen, Akkord- und Melodiefolgen zu erzeugen, so dass ein ständig sich wandelndes „Klangband“ entsteht. Um Konstellationen zu vermeiden, die tonale Fortschreitungen erwarten lassen, sind ausdrücklich „alle“ Tonhöhen gleichberechtigt zu verwenden, also auch nicht-temperierte Tonhöhen, Überblasungen und Mehrklänge. Das irgendwann statisch wirkende Geschehen können die Musiker beleben, indem sie nach und nach alle sehr hoch spielen, sich in weite Lagen aufspalten, ihre Einsätze beschleunigen oder verlangsamen. Die sich an diese Modifikationsmöglichkeiten anschließenden Verzweigungen bieten drei Varianten: 1) alle Musiker einigen sich auf einen gemeinsamen Ton und leiten damit zur Modellstruktur 6 „ein ton, viele farben/klangfarbenmelodie“ über; 2) sie spielen nach und nach nur noch Töne aus einem bestimmten Tonvorrat, welche die Streicher immer länger halten, während die Holzbläser immer länger pausieren, so dass eine Überleitung zu Modell 18 „akzente nach und nach synchron“ entsteht; oder 3) es spielen zunächst nur noch Streicher, dann nur noch die Violoncelli, die sich auf vier vorgeschriebene Tonhöhen beschränken und zu Modell 16 „flageolette 5 und 7“ führen. Diese Struktur aus Flageoletts in vorgegebenen Tongrenzen verzweigt sich schließlich ihrerseits in drei mögliche Richtungen: a) indem die Streicher Bogenwechsel und erstickte Pizzikati immer deutlicher in jeweils eigenem Tempo vornehmen und damit zu Nummer 5 „unendlich viele tempi“ weiterleiten; b) indem sie die Flageoletts zu Streichgeräuschen abwandeln und mit Nummer 14 „farbiges rauschen“ fortfahren; oder c) indem alle auf A-Saiten spielen und sich dann auf eine bestimmte Oktavlage konzentrieren, woran sich erneut Modell 6 „ein ton, viele farben/klangfarbenmelodie“ anschließt. Die Konzeptpapiere 6, 21 und 22 enthalten als eine der drei Verzweigungsmöglichkeiten ein „FINE“, mit dem die gesamte Aufführung beendet werden kann.

Die Übergänge von einem Strukturmodell zu einem weiteren sollen sich rein durch Kommunikation ergeben. Sobald einzelne Musiker den Eindruck gewinnen, die gemeinschaftlich hergestellte Struktur habe lange genug ge­dauert, können sie den Prozess der Verzweigung einleiten, indem sie mit bestimmten Abwandlungen, Störun­gen oder der Einführung völlig neuer Elemente die weitere musikalische Entwicklung in eine der drei möglichen Richtungen zu treiben versuchen. Da es zwischen den Mu­sikern keine Vorabsprachen geben soll, wohin ­diese Entwicklungen führen, entsteht bei jeder Verzweigung zunächst eine Mixtur aus der noch bestehenden bisherigen Struktur mit Elementen der möglichen Nachfolgestrukturen. In dieser unentschiedenen Situa­tion aus graduellen Abwandlungen müssen sich die Musiker dann auf einen gemeinsamen Weg einigen. Das erfordert von ihnen Mut und Standfestigkeit, die Labilität und Mehrdeutigkeit dieses Zustands auszuhalten, sowie ein Höchstmaß an Konzentration, Blickkontakt, Hellhörigkeit und Reaktionsschnelle. Alle sollen sie sich als Individuen und Kollektiv gleichberechtigt an der Entstehung des orchestralen Gesamtereignisses beteiligen, so als fände hier das Ideal des herrschaftsfreien Diskurses, wie es Jürgen Habermas in seiner Diskursethik der „Theo­rie des kommunikativen Handelns“ beschrieben hat, eine exemplarische Umsetzung. Und da jeder im Orchester idealerweise zu einem wachen, kreativen Künstler wird, ist diese Musik von den Mitspielern und Hörern nicht nur als begehbare Raumklangplastik erlebbar, sondern – gemäß Joseph Beuys’ erweitertem Kunstverständnis – auch als eine von einem sozialen Kollektiv mittels sozialer Kommunika­tionsprozesse hervorgebrachte „soziale Plastik“.

Wie die Beispiele zeigen, tendiert manche Modellstruktur aufgrund inhärenter Fliehkräfte und widerstreitender Strebungen fast organisch zu einer anderen. Bei anderen Modellen dagegen werden etablierte Dramaturgien, Spiel- und Hörerwartungen durch umwegartige Verzweigun­gen bewusst durchkreuzt, damit kein homogener Dauerfluss entsteht, sondern sich auch Spannungen, Brüche und Widersprüche aufbauen und spürbar werden. Der Setzung jedes Modells ist so dialektisch seine Zersetzung beziehungsweise bestimmte Negation immanent. Hier sieht Spahlinger eine gesellschaftspolitische Parallele zu seiner Idee, dass jede Form von Institutionalisierung, die sich zur Regelung oder Abhilfe eines Problems herausbildet, danach trachten sollte, sich mit der intendierten Lösung des Problems selbst abzuschaffen. Damit die vierundzwanzig Modelle im Gesamtgefüge ihrer Verzwei­gung jeweils von einem anderen der drei möglichen Vorgängermodelle aus erreicht und in derart veränderten Zusammenhängen auch als neue Kausalverhältnisse gehört werden können, sollte eine Aufführung des Stücks so lange sein, dass zumindest einige Nummern mehrfach erklingen. Die vierstündige Donaueschinger Uraufführung ließ hier­zu reichlich Zeit.

Anspruch und Wirklichkeit

Soweit die Idee des Stücks. In der Praxis wurde Spahlingers „doppelt bejaht“ selbst von langjährigen Mitgliedern des mit neuer Musik bestens vertrauten SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg als eine der kompliziertesten Herausforderungen ihrer Karriere erlebt. Weil in diesem Fall nicht nur eine Partitur einzustudieren war, sondern selbständiges musikalisches Verhalten, Entschei­den und Handeln eingeübt werden musste, wurde dem Projekt schon vorsorglich mehr Probenzeit eingeräumt als allen bisherigen Orchesterwerken Spahlingers. Bereits die zweite Probe im Rosbaud-Studio des SWR zeigte jedoch, dass sich einige Musiker des Orchesters nicht aus­reichend genug hören und sehen konnten, um die heik­len Kommunikationsvorgänge zu meistern. Und obwohl Spahlinger genau dies zu vermeiden gesucht hatte, erwiesen sich die lautesten Instrumente auch als die dominantesten. Da man für die Aufführung in der Donau­eschinger Baar-Sporthalle schlechtere akustische Verhältnisse befürchtete, entschloss sich Spahlinger in Absprache mit dem Orchester und Frank Ollu, der die Einstudierung übernommen hatte, Monitore einzusetzen, auf denen er den Zeitpunkt signalisierte, da die Musi­ker in eine Verzweigung gehen sollten. Aus den dann parallel auftretenden Verzweigungsmöglichkeiten versuchte er dann diejenige Möglichkeit herauszuhören, die von den Musikern mehrheitlich und am deutlichsten artikuliert wurde, um diesen Weg dann mit einer projizierten Nummer I, II oder III als von allen verbindlich einzuschlagen­den anzugeben und den Verzweigungsprozess schließlich mit der Angabe des entsprechenden Nachfolgekonzepts für beendet zu erklären.

Dieses Vorgehen geriet in Widerspruch zur Idee des vollkommen sich selbst steuernden Orchesters. Die Regulierung des Ablaufs hatte zur Folge, dass die Schwebezustände zwischen den gefestigten Modellstrukturen meist zu kurz kamen, obwohl gerade sie zu den für die Akteure und das Publikum spannendsten Musizier- und Hörermomenten des gesamten Projekts gehörten. An die Stelle der eigentlichen Dynamik des permanent in Wandlung und Selbstfindung begriffenen Orchesterprojekts trat tendenziell eine Reihung der Strukturen, die zu sehr für sich allein standen. Trotz aller Vielfalt an mikrologi­scher Binnendifferenzierung wirkte das Geschehen oft ein­sinnig, kontrapunktlos, homogen und auf Dauer statisch und monoton. An vielen Stellen wurde greifbar, wie das Orchester aus einem indifferenten Verzweigungszustand plötzlich in eine ganz bestimmte, per Monitore vorgegebene Konstellation förmlich umkippte. So verlieh die vom Orchester geforderte stärkere Führung und Vereindeutigung des Verlaufs dem Ganzen etwas Mechani­sches, als wenn das kleinteilige Zahnradgetriebe des vielstimmigen Orchesterapparats plötzlich in einen alles koordinieren­den Einheitsgang einrastete. Die Kompromisslösung mit den Monitoren war dem Projekt nicht zuträglich, und vielleicht wurde sie auch zu voreilig eingegangen. Immerhin hätte Spahlingers Konzept für den Fall, dass es einmal zu Missverständnissen kommt oder sich die Musi­ker bei einer Verzweigung nach einer „angemessenen“ Zeit nicht auf ein Konzept einigen können, probate Hand­lungsmöglichkeiten bereitgehalten. Die Musiker hätten dann ihren vergeblichen Einigungsversuch abzubrechen gehabt, um entweder mit einem vorher verabredeten Konzeptpapier als „joker“ beziehungsweise Treffpunkt fortzusetzen oder die gesamte Aufführung zu beenden.

Weitere Einschränkungen erfuhr das Projekt durch die tarifvertraglich garantierte Regelung, die während der vier­stündigen Aufführung jedem Musiker eine halbe Stunde Pause zusicherte. Als Folge davon verließen ab einem gewissen Zeitpunkt alle fünf Minuten vier Musiker den Saal für eine halbe Stunde, so dass das Orchester zwischenzeitlich auf lediglich achtundzwanzig Musiker ausdünnte. Das hatte nicht nur klang­liche Auswirkungen, sondern tan­gierte insofern auch die Grundidee des sich selbst organisierenden offenen Formverlaufs, als bestimmte Modellstrukturen wäh­rend der Pausen mancher Musiker nicht auftreten durften, da für diese bestimmte Instrumentali­sten als unerlässlich vorgeschrieben sind. Entgegen der Idee der freien Wahl der Verzweigungen hatte Spahlinger daher für die Zeitspanne der Musikerpausen einen Plan mit limitierten Wahlmöglichkeiten aufgestellt, dem gemäß sich manche Strukturen nur in zwei oder gar nur in eine einzige Nachfolgestruktur verzeigen durften. Unter Umständen war der Komponist da­durch gezwungen, den Musikern eine Verzweigung vor­zugeben, die der unter ihnen sich gerade abzeichnenden Verzweigungstendenz völlig zuwiderlief. So mussten organisch sich anbahnende Entwicklungen zwangsweise abgeschnitten und mit regel­rechten Brüchen in völlig andere Richtungen kanalisiert werden. Der durch die Pausen bedingte Schwund des Orchesters verstärkte darüber hinaus den Spannungsabfall des Geschehens, als nach etwa zwei Stunden die Konzentration der Musiker nachzulassen begann. Durch kürzere Aufführungen oder Teilaufführungen nur einer Auswahl der Konzeptpapiere, was laut Komponist möglich ist, ließe sich dem leicht abhelfen.

Möglicherweise hing der Spannungsverlust aber auch ursächlich mit den Konzeptpapieren selbst zusammen. Da die Modellstrukturen in der Regel keine großen spieltechnischen Anforderungen stellen, fühlen sich die Musiker auf Dauer unterfordert. In einer Struktur wie Nummer 4 „punktefeld“ sollen sie sempre pianissimo „nur kurze oder gedämpfte oder kurz nach dem einschwingvorgang abgedämpfte oder erstickte klänge“ erzeugen. Die leisen Pizzikati oder Schläge auf beziehungsweise mit Mundstücken, Klappen oder Fingernägeln gegen den Instrumentenkorpus et cetera sind für sich genommen simpel und von jedem Musiker nahezu ohne jede instrumentenspezifische Spielfertigkeit auszuführen. Das gilt auch von Knackimpulsen zerbrechender Walnuss- und Forsythien­zweige, die der Komponist den Musikern für diesen Zweck aus seinem Garten in Potsdam-Groß Glienicke mitgebracht hatte. Der Reiz des „punktefelds“ liegt indes nicht auf spieltechnischem Können, sondern auf musikalischer Ebene in der interaktiven Leistung jedes einzelnen Musikers, sein eigenes kleines Ereignis immer so zu plazieren, dass es im Gesamtgefüge der statistischen Punktstruktur trotz seiner besonderen Zartheit gut zur Geltung kommt.

Raum-Klang-Ereignis

Dem gelenkten und zugleich variablen Fluss der Ereignisse entspricht die räumliche Disposition der Musiker. Sie sitzen einreihig nebeneinander auf erhöhten Podesten, so dass selbst typische Orchesterhinterbänkler in vor­derster Front zum Publikum plaziert sind und alle uneingeschränkten Sichtkontakt zueinander haben. Bei der Aufstellung der Instrumentalisten nutzte Spahlinger die Verteilungsgesetzmäßigkeit des Streckenverhältnisses zwei zu drei, das bei sich selbst organisierenden Systemen analysiert werden konnte, also beispielsweise an den Proportionen zwischen den Plätzen, die zusteigende Fahrgäste in sich füllenden Omnibussen oder U-Bahnwagons einnehmen. Der Grundriss der Orchesteraufstellung folgt einem asymmetrischen, halb geschlossenen Carré, das den Hörern Bewegungsfreiheit lässt und sie zugleich in eine bestimmte Richtung lenkt, denn der Saal kann nur durch eine Türe betreten aber durch zwei wieder verlassen werden. Beim Eintreten befindet sich das Publikum zunächst außerhalb des Carrés im Rücken einer Reihe von Musikern. Indem man um diese herumgeht, gelangt man in das Innere des orchestralen Aktions­raums, der nur verlassen werden kann, indem man den hier befindlichen zweiten Ausgang benutzt.

So wie die musikalischen Handlungsanweisungen jeweils zu einem einmaligen Ereignis führen, kann sich auch jeder Hörer auf verschiedenen Steh- und Sitzplätzen seinen individuellen Zugang bahnen, indem er wechselnde räumliche Perspektiven einnimmt oder sich zeitweilig auf bestimmte Musiker oder Ensemblegruppen konzentriert. Reichlich Zeit dazu wurde bei der Donau­eschinger Uraufführung jedenfalls gegeben. Die räumliche Anordnung und extensive Aufführungsdauer verlieh „doppelt bejaht“ den Charakter einer Konzert­in­stal­lation, die man jeder Zeit betreten und wieder verlassen kann, bei der man aber dennoch jeden Moment mitten im Geschehen ist, weil die sich entwickelnde Abfolge von Augenblicken keine epische Struktur aus Anfang, Mitte, Schluss, Haupt- und Nebensachen kennt. An die Stelle einer kalkulierten Dramaturgie tritt ein fortgesetzter Prozess von Etablieren, Auflösen, Neubilden, Zerstören, Um­wandeln, Positionieren und Negieren immer anderer exemplarischer Ordnungen. Auch ohne Wissen um die Zielvorgaben der einzelnen Konzepte und trotz des Regulierungsbehelfs mit Monitoren wurde der Hörer dabei Zeuge eines relativ offenen kollektiven Verständigungs- und Gestaltungsprozesses, der eine Musik hervorbrachte, die in jedem Moment immer auf verschiedensten Wegen neu entsteht und deutlich macht, dass sie sich an bestimmten Punkten auch ganz anders hätte weiterentwickeln können.

Zu erleben waren permanent sich wandelnde Klangbänder, Farbflächen, Geräusch- und Punktefelder, konkurrierende Melodien, Akkorde, Schichten, Glissandi, sich überlagernde Tempi und Impulsfolgen. Alle Strukturen waren nicht neu, aber genuine Strukturen der neuen Musik. Eine ausgedehnte Eintonmusik mit verschiedenen dynamischen, klangfarblichen und mikrotonalen Auffächerungen, Schwankungen und Glissandi kennzeichnete Spahlinger sogar namentlich als „Hommage à Scelsi“. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Bekanntheit der Klangstrukturen war es faszinierend, mit welcher Entspanntheit und Gelöstheit sie hier musiziert und gehört werden konnten. Eine Wiedergabe ausnotierter neuer Musik desselben klanglich-zeitlichen Komplexitätsgrads hätte einen solchen Atem kaum zu entfalten vermocht. Die Leichtigkeit und spielerische Übereinstimmung der Musiker mit der von ihnen gemeinsam in jedem Moment neu hervorgebrachten Musik verlieh dem Raum-Klang-Ereignis eine Einmaligkeit und Gegenwart, die wesentlich zu seiner intensiven Wirkung beitrug. Entbunden vom Zeitraster einer Partitur und dem Schlag eines Dirigenten schienen die Klänge wie von jeder Anstrengung befreit. Trotz ihres utopischen Anspruchs wirkte die Musik frei von dem sonst zuweilen in Spahlingers Stücken hörbaren Zeigefinger, mit dem der Aufklärer und kritische Komponist seine Hörer auf die unreflektierten Konventionen ihres Wahrnehmens, Deutens und Wertens von Musik stoßen möchte. Diese Musik ist sich dagegen selbst genug ohne selbstgenügsam zu sein. Es ist sicherlich übertrieben, „doppelt bejaht“ für ein epochales Projekt zu halten, das die neue Musik in ein neues Sta­dium treten lasse. Der Eindruck einer Zäsur drängt sich dennoch auf speziell im Hinblick auf das Schaffen Spahlingers, der am Vortag der Uraufführung seinen fünfundsechzigsten Geburtstag hatte. Denn „doppelt bejaht“ geht über sein eigenes altes Denken über neue Musik hinaus. Alle Strukturen des Stücks sind rigoros a-tonal, a-metrisch, a-motivisch, a-thematisch oder a-synchron et cetera, mithin also genuin neue Musik. Doch haben alle diese Klänge hier den von Spahlinger sonst betonten Nimbus der „Negativität“ abgelegt, um stattdessen eine ganz eigene – von manchem Rezensenten vor allem im Hinblick auf die Scelsische Eintonmusikpassage vorschnell als meditativ beschriebene – Kraft zu entfalten, mit der sie sich unter der Hand von der musikalischen Denkungsart des Komponisten emanzipieren. Die Musik von „doppelt bejaht“ kippt aus ihrem eigenen kompositorischen Konzept und findet zu „schönen Stellen“: statt zu verneinen hat sie sich doppelt bejaht.

Kritik und Utopie

Das veränderte Verhältnis zwischen Komponist, Interpret, Publikum und der Musiker untereinander verbindet Spahlinger mit einer gesellschaftspolitischen Utopie. Die Auf­hebung entfremdender Arbeitsteilungen zum Zweck der Vergesellschaftung von Kreativität skizziert für ihn das Modell einer veränderten Gesellschaft. Die Verräum­­­li­chung des Orchesters und das Fehlen zentraler Kontroll­instanzen sind nur äußerliche Anzeichen einer inneren Freiheit von traditionellen Hierarchien, Kommunikations- und Befehlsstrukturen. Als Beispiel für die durch „anachronistische produktionsverhältnisse“ entfremdete musikalische Arbeit nannte Spahlinger sowohl im Programm­buch als auch bei zwei Donaueschinger Podiumsgesprächen des Südwestdeutschen Rundfunks und Bayeri­schen Rundfunks die dritte Posaunenstimme einer Bruck­­ner-Symphonie, die „als teilarbeit eines hocharbeitsteiligen gefüges, keinen rückschluss auf das ganze zu[lässt], für sich genommen keinen sinn erkennen“ lässt.

Das Diskussionsthema „Organisation & Organismus: Klangkörper Orchester“ mochte eine solch pointierte Zuspitzung gestatten. Aus dem Blickwinkel des zum Parade­beispiel musikalischer Entfremdung gestempelten dritten Posaunisten musste diese Behauptung jedoch als unzulässig und falsch erscheinen. Bildet doch gerade die Bassposaune das Fundament vieler Blechbläser- und Choralsätze, die in einer Bruckner-Symphonie zugleich eine Dimension von Glaubenssätzen annehmen, bei denen die Einzelstimme nicht beziehungslos für sich steht, taub für alles andere um sie herum, sondern in engstem Wechselverhältnis zusammen mit den anderen Posaunisten und dem gesamten Blechbläsersatz auszugestalten ist. Der einzelne Musiker leistet hier keine entfremdete Arbeit an einer ihm sonst unzugänglichen Gesamtstruktur, sondern einen sowohl umfassend musikalisch als auch emotional und gehaltsästhetisch erfüllten Beitrag zu einem klingenden Gesamtereignis, das ihm gestattet, sich seines individuellen Beitrags als Teil dieses größeren Ganzen sehr wohl bewusst zu werden. Dass bei der Uraufführung von „doppelt bejaht“ die Posaunisten an manchen Stellen demonstrative Kontrapunkte zu den etablierten Strukturen setzten und dabei wohl auch zuweilen gezielt gegen die Idee von Spahlingers Stück ihre erdrückende akustische Dominanz ausspielten, mag daher auch die berechtigte Auflehnung emanzipierter Musiker gewesen sein, die sich vom Komponisten nicht gern als entfremdete Subjekte abqualifizieren ließen.

Spahlingers Wortbeiträge zu den Donaueschinger Podiumsrunden gipfelten im Anspruch „Die Welt muss verändert werden“. Das emphatische Statement legte die vermessene und zugleich ehrenwerte Triebfeder eines hoch engagierten Musikschaffens offen, das gelegentlich fast erstickt zu werden droht unter der ebenso intellektuellen wie künstlerischen Besessenheit, in jedem Moment das große Ganze der politisch-ökonomischen Verhältnisse mitzudenken und durch Kritik zum Positiven zu ver­ändern. So steht auch hinter Spahlingers Kritik der entfremdeten Arbeit im Orchesterkollektiv die Utopie einer nicht-entfremdeten Arbeit und Lebensweise. Der Werk­titel „doppelt bejaht“ verdankt sich einem Zitat aus den sogenannten „Pariser Heften“ von Karl Marx, der in seinen „Auszügen aus [James] Mills ,Éléments d’économie politique‘“ 1844 analysierte, wie der Mensch nicht gesellschaftlich für den Menschen als Menschen produziert, sondern nur für sich, da er Dinge, die er über den eigenen Gebrauch hinaus herstellt, nicht für andere erzeugt, sondern nur zum Tausch mit den Produkten der anderen. Marx diagnostizierte hierin die Ursache der Verdinglichung sämtlicher menschlicher Beziehungen und Kommunikationsweisen. Zugleich verwies Marx auf die Aufhebung der Entfremdung des Menschen von sich und seinen Mitmenschen, worin auch Spahlingers Projekt seinen utopischen Flucht­punkt findet: „Gesetzt, wir hätten als Menschen produziert: Jeder von uns hätte in seiner Produktion sich selbst und den anderen ,doppelt bejaht‘.“ Doch damit niemand auf falsche Gedanken kommt, Spahlinger habe mit „doppelt bejaht“ einen irreversiblen Weg hin zu Konzeptkunst, Improvisation oder gar intuitiver Musik eingeschlagen, gab der Komponist vorsorglich bekannt, er plane in seinem nächsten Stück wieder alle Details in einer exakt fixierten Partitur auszunotieren, und das sogar gleich im Tripelpack für drei Orchester mit drei Dirigen­ten.