MusikTexte 153 – Mai 2017, 46–50

Binäre Komposition

von Alexander Schubert

In diesem Text möchte ich Arbeitsweisen, Motive und Hintergründe meiner Arbeit darlegen und erklären. In dem Versuch, diese pointiert darzustellen, erlebe ich häufig, dass ich meinen kompositorischen Ansatz selten gut auf Kernthesen beschränken und griffig beschreiben kann. Meine Vorgehensweise und Methodik setzt sich oft aus gegensätzlichen Polen zusammen. Da ich die Mehrpoligkeit als ein entscheidendes Kriterium meiner Arbeit ausgemacht habe, möchte in diesem Text als übergreifendes Thema genau diese Gegensätzlichkeit der Methoden und Motivationen behandeln. Dieses Charakteristikum macht auch mich als Person aus, deshalb empfinde ich meine Stücke häufig als sehr persönlich. Ich meine das nicht – zumindest nicht vorrangig – emotional oder subjektiv, sondern in der Weise, wie man sich Aufgaben, Situationen, Musikstücken und dem Leben nähert.

Nachfolgend möchte ich eine Reihe von Gegensatzpaaren in meiner Arbeit beleuchten und erklären, wieso sie mir wichtig sind. Dabei handelt es sich unter anderem um folgende Spannungsverhältnisse: Ernsthaftigkeit vs. Humor/Ironie, Körper vs. Virtualität, Popmusik vs. Neue Musik, Konzept vs. Intuition, Expressivität vs. Introversion und Technik vs. Romantik. Natürlich sind kein Mensch und keine Arbeit monothematisch, doch trotzdem beschreibe ich diesen Aspekt als eine meiner Arbeit zugrundeliegende Charakteristik.

Popästhetik

Der offensichtlichste Gegensatz ist vielleicht die Kombination und Konfrontation von popmusikalischen Elementen mit der zeitgenössischen Musik. Die Verbindung Neuer Musik mit anderen Genres, welche im weitesten Sinne der experimentellen Popmusik und Elektronik zuzuordnen sind, ist augenscheinlich und in allen Stücken explizit erkennbar. Es gibt hier verschiedene Ansätze, die bei der Fusion der Inhalte und Sprachen auftreten. Relevante Faktoren aus der populären Musik sind für mich Produktionstechnik, Unmittelbarkeit, performative Codes und Klangsprache. Zwar habe ich auch relativ früh angefangen, Instrumente zu spielen, doch war und ist der Computer immer mein eigentliches Instrument gewesen. Als Teenager habe ich begonnen, Klangcollagen zu erstellen und mit MIDI-Sequenzern und Tracker-Software Stücke zu schreiben. Damit hatten die Arbeitsweise und Art der Komposition und Produktion bei mir schon immer einen konstruierten, artifiziellen Aspekt. Da alle meine Stücke komplett verstärkt sind und mit Elektronik und Zuspielung arbeiten, war es für mich immer ein erklärtes Ziel, diesen Produktionsansatz auch auf die Live-Situation zu übertragen. Hieraus resultiert natürlich die Frage, wie sich dieser Ansatz mit Live-Instrumenten sinnvoll vereinen lässt: Die Vorzüge oder Möglichkeiten dieser Ästhetik bergen auch einige Risiken für differenzierte Kammermusikalität, Dynamikumfang, Komplexität der Klangsprache, Verhältnis zwischen Spieler, Klangresultat und Inszenierung. Es liegt in der Natur der Sache, dass kein Ansatz alles leisten kann, und so erkauft man sich Möglichkeiten durch Reduktion an anderer Stelle. Eine wesentliche Herausforderung besteht darin, die Tür für eine Ästhetik mit einem Mehrwert zu öffnen, welche nicht schon durch die Popmusik abgedeckt ist. Es wäre unzweckmäßig, etwas nachzubauen, das ein anderes Genre besser leisten kann. Ein Neue-Musik-Konzert muss nicht erfüllen, was ein Popauftritt, ein Rave- oder Punkkonzert leisten können – aber es lassen sich Elemente isolieren und in einem Kunstmusikkontext nutzbar machen. Klanglich können das beispielsweise die Reduktion von Material sowie die besondere Produktionstechnik sein. Weitere Ziel können das Analytische, die Abstraktion und die damit verbundene Suche nach einer Verallgemeinerbarkeit sein.

2016 ist auf der Schallplatte des Nadar Ensembles unter anderem mein Stück „The Password Disco“ erschienen, welches in seiner Klanglichkeit vollständig an elek­tronische Tanzmusik/Electronica angelehnt ist und auch in seiner Produktionsweise – komplett clean, digital, artifiziell – ausschließlich popmusikalisch ist. Es nutzt außerdem genretypische Elemente wie Chorus, Build-ups und einen Groove, bei dem sich sogar mit dem Fuß mitwippen ließe. Die Rhythmen des Stücks sind allerdings algorithmisch mithilfe eines Polyrhythmus-Generators entstanden. Obwohl man durchgängig das Gefühl hat, dass der Klang im richtigen Moment kommt, lässt er sich doch selten wirklich voraussagen. Die Oberfläche ist sehr nahbar, doch die Generatoren und Polyrhythmen darunter sind komplex. Auch das Artifizielle wird in diesem Stück explizit thematisiert: Es ging mir darum, eine leer erscheinende Klanglandschaft aus einzelnen Samples zu konstruieren – zusammen mit völlig unmenschlichen MIDI-Chören und E-Gitarren aus der Konserve. Mich reizte dabei die klinische Welt der Studioästhetik. Diese wird gegen Ende des Stücks konkret aufgegriffen, wenn sich der Produzent/Komponist zu Wort meldet und dessen Verlauf erklärt. Es handelt sich hierbei um ein rein elek­tronisches Stück.

Sobald aber ein Musiker auf der Bühne steht, kommt der Aspekt der Inszenierung/Präsentation hinzu. Beispielsweise nutze ich in „Your Fox’s, A Dirty Gold“ ganz konkret die musikalische Sprache eines Popsongs und das gestische Repertoire eines Rockkonzertes. Neben den technischen Komponenten dieses Stückes – eine Sängerin steuert mit Sensoren die Elektronik – war auch hier das Ziel, diese musikalische Sprache in ihrer Künstlichkeit im Verlauf des Stücks zu thematisieren. Ausgehend von einem heftigen und massiven Klangeindruck entwickelt sich das Lied zu einer zunehmend unwirklichen Szenerie, in der die Performerin sich mechanisch wie ein Roboter oder eine Puppe in Zeitlupe verbeugt und ein E-Gitarrensolo spielt, das nur aus getriggerten Samples besteht und mit der eigentlichen Klangerzeugung des In­struments nichts mehr zu tun hat. An anderer Stelle steuert die Interpretin das vermeintliche Feedback einer E-Gitarre, doch wird in dieser Pose des Aufbegehrens ein Computer-Patch mit Feedback-Generatoren kontrolliert und moduliert. In diesem wie in anderen Stücken nutze ich also Elemente der Popmusik, um sie zu reflektieren, zu überspitzen und in einen neuen Kontext zu rücken.

Aber auch hier greift die oben beschriebene Ambivalenz: Diese Stücke sind kein reiner Kommentar oder eine theoretische Abhandlung. Sie nutzen diese Elemente nicht (ausschließlich), um sie vorzuführen oder zu sezieren, sondern auch aus intrinsischer Motivation. Ich möchte nicht aus Sicht der E-Musik auf diese Stile herabschauen, sondern diese nutzen, ohne ihnen komplett zu verfallen und sie zu imitieren. Es ist meine Überzeugung, dass hier musikalisch etwas zu holen ist.

Überwältigung

Mit ähnlicher Intention nutze ich nicht nur genrespezifische Elemente und Produktionstechniken, sondern auch die Präsentationsform nicht-klassischer Konzerte. Das bedeutet zum Beispiel eine oft sehr direkte, laute und unmittelbare Konfrontationssituation; in einer negativen Auslegung könnte man wohl von einer Überwältigungsästhetik sprechen. Tatsächlich ist mir der physische, immersive Moment eines solchen Konzerterlebnisses wichtig. Vor dem Hintergrund des genannten (nicht völlig un­berechtigten) Vorbehalts gegen die insistierende Eindringlichkeit bedarf ein solcher Ansatz natürlich der besonderen Reflexion. Mich reizt an dieser sinnlich/sensorischen Unmittelbarkeit die Chance, eine innere Grenze im Betrachter einzureißen – ich suche nach einem Übersprung. Auch innere Mauern bedürfen bisweilen schweren Geräts, um das Dahinterliegende freizulegen und zu einem durch Schutzmechanismen wohlbehüteten Punkt vorzudringen. Auch ich selbst oszilliere zwischen einer rationa­len, analytischen Seite und einer exzessiven, ungebremsten Gegenseite. Für mich war und ist immer auch dieser forsche Akt ein Mittel dazu, an etwas Ehrliches zu geraten. Es geht mir dabei nicht um die Show oder das Pompöse, sondern darum, etwas Unmittelbares, Intensives zu erleben, wahrzunehmen. Es ist auch nicht das Aggressive, das mich daran reizt, sondern das Gefühlvolle, das angesprochen wird (wobei hier auch Aggressionen eine Rolle spielen können). Nicht die Konfrontation interessiert mich, sondern das Vordringen. Dies kann und wird natürlich vom Besucher mitunter anders wahrgenommen und als überbordend, simplizistisch oder militant eingeschätzt. Dieser möglichen Lesart bin ich mir bewusst. Ich denke aber, dass sie künstlerisch genutzt werden kann und diese Heftigkeit gewinnbringend einsetzbar ist.

Neben dem angesprochenen Vorstoßen funktioniert sie im maschinellen Sinne auch als Entfremdung, wie zum Beispiel in „Sensate Focus“ oder „Scanners“. In beiden Stücken bekommen die Performer nahezu maschinelle Züge – sie führen streng synchronisierte Bewegungen aus – und werden damit Teil eines Apparats. „Scanners“ thematisiert die Aufführungsmaschine des Streichquintetts im Speziellen. Doch auch der explizite Einsatz von Überforderung/Überrumpelung wie bei „Lucky Dip“ und „Supramodal Parser“ scheint zumindest dann legitim – aus meiner Sicht sogar beinahe notwendig –, wenn das der thematisierte Zustand ist, der mit dem Stück abgebildet werden soll. Es geht hier um ein Weggleiten, einen Rausch, ein Überborden. Bezeichnenderweise folgt in beiden Stücken jeweils auch ein ruhiger, hypnotisch taumeldender, haltlos introvertierter Teil, um so im Kontrast gerade diese Wirkung zu problematisieren und zu illus­trieren: Es ist die Ambivalenz zwischen der Heftigkeit und dem Gegenteil – der Leere. Auch die verschiedenen Interpretationen von Intensität, als freudige Energie, als Eskapismus oder als Ohnmacht machen für mich das Potential dieses Ansatzes aus. Mich faszinieren die verschiedenen Lesarten dieses überbordenden Zustands – und ich denke, in dieser Mehrschichtigkeit verdient er auch in der Kunstmusik einen Platz.

Intuition

In der vorangehenden Auflistung habe ich ein wenig plakativ das Gegensatzpaar Romantik vs. Technik bemüht. In diesem Fall kann man es wohl so herunterbrechen, dass es mir trotz der Heftigkeit der Mittel eigentlich um etwas sehr Zartes geht. Die technische Umsetzung und Annäherung stehen hier im gewissen Gegensatz zu den inhaltlichen Motivationen. Diesen Kontrast kann man sicherlich auch etwas weiter verstehen, denn auch die Verwendung der technischen Mittel, die sich durch alle meine Stücke zieht, steht immer auch im Verhältnis zu etwas ganz Intuitivem, Menschlichem und Emotionalem. Ich begreife daher viele meiner Stücke als im Kern eigentlich romantisch. Offensichtlich nehmen technische Aspekte in meiner Arbeit eine prominente Rolle ein, doch eigentlich probiere ich, sie nie zum Hauptkriterium eines Werks zu machen. Trotz aller Begeisterung ist die Technik für mich immer Mittel zum Zweck. Im Idealfall kann ich – zum Beispiel nach der Entwicklung eines Software-Set­ups – diese einfach als Tool nutzen, ohne mir weiterhin Gedanken darüber zu machen, wie es eigentlich funktioniert.

Neben der Wahl der Mittel unterliegt auch der Entstehungsprozess immer sehr gegensätzlichen Polen. Denn einerseits arbeite ich extrem intuitiv, tue das aber auf der Grundlage von inhaltlichen und technischen Rahmenbedingungen. Die Arbeit beginnt meistens mit einem Set­up oder einem Szenario, das ich mir setze. Dieses Setting kann technischer Natur sein (wie zum Beispiel bei den Sensorstücken „Point Ones“ und „Laplace Tiger“), vom Inhalt motiviert sein (wie bei der Lecture „Star Me Kitten“) oder einem räumlichen Ausgangspunkt entspringen (wie bei der Konzertinstallation „Black Mirror“). Häufig ist es auch ein Zusammenspiel dieser Faktoren. Diese „Umgebung“ hat immer visuelle, szenische Aspekte und eine Dimension der Interaktion. Wie man zu Beginn eines rein akustischen Instrumentalstücks die Instrumente wählt, so ist es für die multimediale Arbeit sinnvoll, anfangs das (erweiterte) Instrumentarium zu definieren. Es kann sich dabei um Hardware, Software, Licht, Video, Bühnenaufbau und vieles andere mehr handeln.

Im nächsten Schritt probiere ich die Möglichkeiten dieses Szenarios abzuklopfen und ein konkretes Repertoire an Elementen herzustellen, die ich in der Komposition ver­wenden möchte. Hierbei kann es sich neben den musikalischen Vorüberlegungen um Software-Schnipsel, um Formen der Interaktion, um eine inhaltliche Idee/Metapher/Fragestellung, ein Raumkonzept oder um performative Konzepte handeln. Zu Beginn entsteht ein großer Pool mit Ideen und unterschiedlichen Ansätzen, sich dem Thema des Stücks zu nähern. In der folgenden Phase ist meine Arbeitsweise sehr pragmatisch und praxisorientiert, indem ich die Ansätze so gut es geht ausprobiere, teste und dokumentiere, um auf diese Weise zu ermitteln, welche theoretischen Ideen in der Praxis Bestand haben. Hierdurch schaffe ich eine Sammlung an konkreten Umsetzungen der Ideen und nutze diese dann als Material für die Komposition. Es erscheint mir konzeptuell produktiv, schon zu Beginn eine klare Vorstellung davon zu entwickeln, wie das Resultat (in Ausschnitten) aussehen könnte. Das bedeutet beispielsweise, dass ich kleine Szenen für sensorgestützte Interaktionen auf Video aufnehme, Licht-Setups in einem Raum teste und dann bewerte oder für Videoarbeiten immer mit Testvideos arbeite.

Dann setzt häufig ein Prozess ein, der nahezu dem „Automatic Writing“ entspricht, bei dem ich mich einfach treiben lasse und sehr intuitiv arbeite. Ich nutze dann das bestehende Material – und entwickle auch neues dazu –, aber arbeite von dem Moment an sehr schnell und fast improvisatorisch. Da das Setting steht und eine Reihe an verwendbaren Inhalten besteht, verlasse ich mich dann auf ein sehr unmittelbares Schreiben. Nicht zuletzt dürfte das auch der Grund sein für die (zumindest intendierte) rauschhafte Wirkung einiger Stücke – sie entstehen aus einem sehr fließenden Prozess. Charakteristisch ist sicherlich noch die Tatsache, dass ich kontinuierlich parallel an den verschiedenen medialen Aspekten eines Stücks arbeite. Mir ist es wichtig, immer gleichzeitig an den Inhalten zu arbeiten, um zu verhindern, dass das eine Medium nur das andere untermalt oder begleitet.

Humor

Verwandt mit dem Kontrast von Intuition und strenger Planung ist vielleicht auch das Gegensatzpaar Ernsthaftigkeit vs. Humor. Humor und Ironie erscheinen möglicherweise auf den ersten Blick als etwas Triviales oder Irrelevantes in der Kunstmusik – und im einfachen Kalauer ist das mit Sicherheit auch so. Ich habe bei mir beobachtet, dass mich einige gute Musik – auch völlig ohne extramusikalische Elemente – zum Lachen bringen kann. Auslöser dafür ist vielleicht der überraschende Umgang mit Material, der Bruch eines vorher etablierten Systems oder die stringente Zuspitzung einer Idee. Momente der Überraschung oder Radikalität können etwas Humorvolles haben. Doch in dieser Eigenschaft liegt auch häufig eine Qualität, die über das Lustige hinausgeht. Sie kann einerseits das manisch Exzessive haben, oder sie kann stoisch und irritierend sein. Gemeinsam ist diesen Punkten, dass sie sich auf ein bestehendes Regelwerk und eine damit verknüpfte Erwartungshaltung beziehen. Deren Bruch stellt den Reiz dar und kann über Belustigung hinaus eine Chance bergen, derer ich mich in manchen Stücken zu bedienen versuche. In „HELLO“, „f1“ und „Star Me Kitten“ sind diese Elemente am präsentesten. Hier wird jeweils ein Setting mit einer assoziierten Erwartungshaltung etabliert und dann gebrochen – maßgeblich dadurch, dass der Produktionsprozess des Stücks offengelegt beziehungsweise zum Inhalt des Stücks selber wird. In meinen Augen hält die Gegensätzlichkeit hier weiter an, denn die zugrunde liegenden Themen der Stücke meine ich durchaus ernst.

Der Bruch des Settings führt bei „f1“ und „Star Me Kitten“ auch zu einem Öffnen der Präsentation hin zu einer Narration, zu einem Abgleiten in einen Erzählstrang, der hinter der Fassade liegt. Ein klarer, konzeptueller Ansatz (Verhältnis Geste/Symbol/Inhalt zu Musik) wird hier einem verstörenden, psychologischen Subtext gegenübergestellt. Hinter der Fassade ist immer auch noch das Andere.

Der Bruch innerhalb dieser Stücke geht auch immer mit dem Prinzip des Fehlers einher: der Fehler des Programms, der Absturz der Präsentation und das Fehlverhalten. Innerhalb dieses Kontexts nutze ich oft die Glitch-Ästhetik. Diese Verfahrensweise birgt für mich die Gelegenheit, genau diese Sprünge in der Kohärenz umzusetzen. Das Verfahren ist somit als inhaltliches Mittel – und nicht nur als Sounddesign – ein hilfreiches Tool. In der Charakteristik des Fehlers findet sich auch immer die Funktionsweise des dahinterliegenden Systems.

Körper

Das Auftauchen eines Fehlers, das Hängenbleiben eines Loops, das Einfrieren eines Klangs oder Bilds, der simulierte Programmabsturz und das bit-crushende Instrument sind einige audiovisuelle Elemente, die sich durch meine Stücke ziehen. Es ist der Kontrast zum akustischen Instrument, der Bruch der Videopräsentation und der Sprung in der Logik des Stücks. Dieser Ansatz geht über musikalische Inhalte hinaus und schließt auch die Wahrnehmung des Musikers auf der Bühne ein.

Neben den Rahmenbedingungen der Aufführungen steht aber auch das Verhältnis des Performers zu den medialen Inhalten oft explizit im Fokus. Viele meiner Stücke haben gestische und performative Elemente, bei denen der Musiker mit seinem Körper eine direkte Beziehung zu Musik, Elektronik, Computer oder Video eingeht. In den sensorgestützten Stücken steuern die Performer durch ihre Bewegung unmittelbar das Processing und die Elektronik – und zwar durch an den Armen angebrachte Bewegungssensoren. Bei den ersten Arbeiten dieser Art („Weapon of Choice“ und „Laplace Tiger“) stand die Erweiterung der Kontrollmöglichkeiten und der Expressivität im Vordergrund. Ziel war es, ein Setup zu schaffen, das es dem Musiker erlaubt, die Parameter der Elektronik intuitiv, individuell und performativ zu steuern – also die Erweiterung des akustischen Instruments. Ab „Point Ones“, wo der Dirigent mit Sensoren ausgestattet ist, trat dann das Maschinenhafte und Virtuelle des Körperbilds langsam in den Fokus. Es ging hier nicht mehr ausschließlich um die virtuose Steuerung der Elektronik, sondern darüber hinaus um die Beleuchtung der Interaktion und Kommunikation durch Gesten und Bewegung. Abschnittsweise funktioniert in „Point Ones“ die Steuerung der Elektronik durch den Dirigenten nicht mehr so, wie man es von ihr erwarten würde. Die Kommunikation zwischen Dirigent und Ensemble hakt und der Dirigent verwandelt sich vom virtuosen Spieler zu einem menschlich-digitalen Metronom mit Aussetzern. Es zeichnet sich hier die Dualität des Umgangs mit dem Körper ab, der in folgenden Stücken weiter vertieft wird. Es gibt die expressive, den Performer unterstützende, bereichernde Komponente, welche sich aus meiner eigenen Erfahrung als Musiker im eher improvisatorischen Kontext speist. Dort wird das technische Setup als Erweiterung des Spielers nicht hinterfragt, sondern akzeptiert und integriert. Von dem Moment an, in dem das System unterbrochen wird, steht die Funktionalität des Körpers im Zentrum. Dann ist das Virtuelle der Klangsteuerung kein Werkzeug mehr, sondern Kernthema. In „Scanners“ und „Sensate Focus“ wird die Erscheinungsform des Performers auf der Bühne noch intensiver mit einbezogen und die maschinellen und virtuellen Aspekte des Musikers werden in den Vordergrund gestellt. In beiden Werken werden die Interpreten jeweils nur für kurze Augenblicke, beim Ausführen einer Geste oder einer Spielbewegung, vom Scheinwerfer angestrahlt. In einem komplett dunklen Raum sieht man folglich immer nur momentweise die Musiker aufblitzen. Die kantigen Bewegungen der Spieler werden dadurch verstärkt und führen so zu einem maschinenhaften Erscheinungsbild. Besonders bei „Scanners“ wirken die Interpreten wie Roboter auf der Bühne. Man nimmt sie aber vor allem wie kurze Videoclips wahr, welche collagiert und nebeneinander abgespielt werden. Der Mensch auf der Bühne wird in Echtzeit zu vielen kleinen virtuellen, digitalen Clips transformiert. Die kontinuierliche Präsenz einer expressiven Darbietung weicht einer Reihe isolierter, mechanischer Bildfolgen.

In diesem Bild sammeln sich einige der oben beschriebenen Ambivalenzen: Einerseits das Wechselspiel einer direkten und unmittelbaren Performance und körper­lichen Heftigkeit, andererseits das durch Produktionstechnik ins Virtuelle transportierte maschinelle Abbild des Menschen. Dieses Vorgehen ist ästhetisch motiviert, denn mich reizt in der Tat der hyperaktive Cut-and-paste-Stil. Ich schätze daran aber auch, dass es als Befassung mit dem sich transformierenden Menschenbild verstanden werden kann. Denn unsere Identität wird immer häufiger auf Clips, Avatare, digitale Repräsentationen reduziert.

Privat

In einer ähnlich ambivalenten Rolle trete ich teilweise selber in meinen Stücken in Erscheinung („f 1“, „HELLO“, „Star Me Kitten“). Dies geschieht jeweils in einer etwas abstrakten Form – meistens vermittelt durch neue Medien wie zum Beispiel Skype, Handy, Green Screen oder im Kostüm. Es handelt sich hier um eine Meta-Form, die das Geschehen kommentiert oder neben ihm parallel läuft. Ich behandle mich dann dort selbst als Material, mit dem ich genauso komponiere und umgehe, wie mit den anderen Bestandteilen. Mir geht es dabei weniger darum, dass ich das bin – mich mit diesen Bildern also selbst zu illustrieren –, sondern ich verwende mich als Material, nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen. Doch im Prozess des Schreibens – der für mich eine Nähe zum „Automatic Writing“ hat – merke ich dann doch, dass diese Stücke mehr mit einer Selbstbetrachtung zu tun haben, als ich es eigentlich plane. Sie sind nicht autobiographisch – und bestehen allemal aus Versatzstücken –, aber sie sagen doch mehr über mich aus, als ich im ersten Moment denke.

Die Gegensätzlichkeit von Intention und Präsentation sowie anderer Dichotomien zieht sich durch die meisten meiner Stücke. Wie beschrieben, bildet eine Reihe von Gegensatzpaaren einen wesentlichen Bestandteil meiner Arbeit. Es ist vielleicht eine Banalität: Aber ich begegne der Komposition mit exakt den gleichen Mitteln, mit denen ich meinem Alltag, meinem Umfeld und meinem Leben begegne. Das habe ich mir nicht zum Motto gemacht, vielmehr habe ich beobachtet, dass es genauso ist.