MusikTexte 156 – Februar 2018, 91

Die Farbe der Liebe

Zwanzig Jahre „Frau Musica (nova)“ im Deutschlandfunk Köln

von Rainer Nonnenmann

Das Ensemble Garage faucht energische Crescendi heraus: geräuschvoll, dreckig, abrupt abreißend. Dazu sieht man im Video ein tapsiges Löwenbaby und putzige Kätzchen mit großen Kulleräuglein: Einfach zu süß! Nahtlos ins Kindchen-Schema fügt sich auch eine als Elfe gestylte junge Frau, ebenso ätherisch wie erotisch, mit silbrigem Haar, reichlich Makeup und sinnlich aufgespritzten Lippen. Die polnische Komponistin Marta S´niady spielt in „C_ut/e_ #1“ mit den eng­lischen Wörtern „cut“ (schneiden) und „cute“ (süß). Die millionenfach ins Internet gestellten Katzenvideos münden schließlich – die Musik wird längst überhört – in die Jagd eines Löwenrudels auf eine Giraffe. Das Schlussbild zeigt dann die keuchende Leitlöwin mit blutverschmiertem Maul: Bei Löwen sorgt die Damenwelt für Frischfleisch. Und die Moral von der Geschicht? Unterschätzt die Frauen nicht!

S´niadys moderne Fabel spielt mit weiblichen Rollenbildern: handzahm, verlockend, wild, auch tatkräftig, teamfähig, strategisch, entschlossen. Die Einladungskarte zum zwanzigsten Konzert der Reihe „Frau Musica (nova)“ im Kammermusiksaal des Deutschlandfunk Köln zierte die Comicfigur Wonder Woman, wie sie ganz lässig alle männlichen Superhelden abserviert: sexy, intelligent und stark. Zwar hinken Vergleiche mit Tieren und Kunstfiguren, doch immer mehr Frauen agieren ähnlich Löwinnen und Superfrauen. Sie sind Soldatin, Konzernchefin, Ministerin, Bundeskanzlerin, Professorin, Bischöfin … Die zumindest hierzulande grundrechtlich verankerte Gleichberechtigung der Geschlechter scheint in der Praxis allgemein durchgesetzt. Auch in künstlerischen Bereichen spielen Frauen nicht bloß Musen-Rollen mit möglichst genialitätsfördernder Wirkung auf maskuline Schöpfernaturen. Und viele Künstlerinnen lehnen die Bezeichnung ihrer Arbeit als Frauenliteratur, Frauenfilm, Frauen­musik inzwischen ab, weil sie dies als einengende Stigmatisierung empfinden.

Gleichwohl sind Frauen oft noch unterrepräsentiert, auch in der neuen Musik. Das galt erst recht vor rund vierzig Jahren, als beim ersten Frauenmusikfestival 1980 in Bonn Komponistinnen der Vergangenheit wie Clara Schumann oder Fanny Hensel vorgestellt wurden. Auf dem Programm des 1984 von der Musikjournalistin Gisela Gronemeyer und der Pianistin Deborah Richards initiierten Kölner Festivals „Experimentierfeld: Frauen­musik“ standen dagegen ausschließlich zeitgenössische Komponistinnen, Performerinnen, Interpretinnen: „Vorbild waren für uns“, erinnert sich Gronemeyer, „amerikanische Musikerinnen wie Pauline Oliveros oder Meredith Monk, die etwas ganz aus sich geschaffen haben, mit ihrem Körper und ihrer Stimme“. Als das Land Nordrhein-Westfalen Sondermittel zur Förderung der kulturellen Arbeit von Frauen bereitstellte, veranstalteten Gronemeyer und Richards 1998 ein weiteres Festival, dieses Mal unter dem Titel „Frau Musica (nova)“. Elf Konzerte und ein Symposium beleuchteten damals Aspekte und Hintergründe (Biologie, Geschichte, Herkunft, Sozialisation) einer spezifisch weiblichen Musiksprache.

Seither veranstaltet der Verein „Frau Musica (nova)“ jedes Jahr ein Konzert in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk Köln. „Wir haben immer Frauen por­trätiert“, erklärt Gronemeyer, „die eine ganz eigene Handschrift haben und anders komponieren als Männer.“ Oft waren es Künstlerinnen im Zwischenbereich von Komposition und Improvisation. „Wir haben auch Außenseiterinnen aus allen Ecken der Welt eingeladen, aus Schweden, Polen, Norwegen, USA, Argentinien, Aserbaidschan, Spanien, Rumänien, die hierzulande im etablierten Musikbetrieb noch kaum oder gar nicht vorgestellt wurden, in ihren Heimatländern aber bekannt sind.“ 2013 ging die Leitung an Brigitta Muntendorf und das Ensemble Garage über. Statt Porträts einzelner Komponistinnen gibt es nun eher Konzerte mit verschiedenen Künstlerinnen und Sparten.

„Ziel der Konzertreihe“, so Muntendorf, „ist ein Zustand, bei dem wir nicht mehr schauen müssen, wie viele Frauen gibt es bei einem Festival oder unter Intendanten und Redakteuren, weil es selbstverständlich geworden ist, dass hier Frauen vertreten sind. Es geht also letztlich darum, eine Reihe wie ,Frau Musica (nova)‘ überflüssig zu machen. Aber so weit sind wir noch nicht: Frauen brauchen Platz in Konzerten, aber keinen Schutzraum.“ Das Jubiläumskonzert zum zwanzigjährigen Bestehen der Reihe präsentierte Stücke von sechs Komponistinnen und zwei Komponisten, lose verklammert durch das Thema Sexualität. Die im Raum verteilten Settings wurden medial gespiegelt durch Live-Videos von Studierenden der Kunsthochschule für Medien Köln. Die Aufnahmen zeigten die Musikerinnen und Musiker vergrößert, vervielfacht oder zu Schwarz-Weiß-Aufnahmen verfremdet, bei denen lediglich alles Rote herausstach: Die Farbe der Liebe auch als visuell roter Faden.

Brigitta Muntendorfs „Bright no more“ ist das sechste Stück ihrer Serie „Public Privacy“. Es zeigt die Vokalistin Frauke Aulbert sowohl live zischelnd und säuselnd als auch in einem vorproduzierten Video unter Rotlicht sich räkelnd, wie sie mit Wimpern klimpert und mittels Spiegelung ihres Auges den Eindruck einer besonderen weiblichen Körperöffnung er­weckt. Neben Werken jüngerer Komponistinnen, die in den Achtzigerjahren geboren wurden, gab es auch Stücke älterer Künstlerinnen. Laurie Andersons „Langue d’Amour“ erzählte zu pulsierender Keyboard-Begleitung eine Neufassung des paradiesischen Sündenfalls, bei der sich Eva in die verführerische Schlange verliebt. In Carola Bauckholts „Doppelbelichtung“ verzauberte Geigerin Sabine Aki­ko Ahrendt mit live ge- und zugespielten Zwitschertönen den Saal in einen tirilierenden Frühlingswald. Iris ter Schiphorsts „Somewhere II“ übertrug die Klänge des von Mariano Chiacchiarini geleiteten Ensemble Garage mittels Lautsprechern auf scheppernde Donnerbleche.

Viel direkter dargestellt wurde weib­liche Erotik ausgerechnet von den beiden Komponisten. Pierre Jodlowskis hörspielartiges „Série Rose“ von 2012 beginnt mit per Lautsprecher zugespielten Schritten von Frauenschuhen, die sich durch leere Flure nähern, um hinter einer Türe zu verschwinden. Der sich anschließende Soundtrack eines Liebesspiels von Mann und Frau aus David Lynchs Film „Lost Highway“ wird fortan mit entsprechendem Klavierspiel parallelisiert: Sanfte Akkorde steigern sich nach und nach zum ekstatischen Höhepunkt wild tremolierender Basssaiten: Der Phonograph als Pornograph. Und Erwin Schulhoff lässt in seiner dadaistischen Kabarettnummer „Sonata Erotica“ von 1919 die Performerin einen Orgasmus imitieren: „Ach, na, sei doch lieb, oh, ah, du, du, ah, aah, aaah ... !“ Die Stücke berühren bewusst Grenzen von Peinlichkeit und Voyeurismus. Erleben konnte sie das Publikum bequem von Sesseln aus mit coolen Drinks in der Hand: ein schon besonderer Abend!