MusikTexte 171 – November 2021, 00

Wertvolle Impulse

An Peter Behrendsen denken

von Harald Muenz

für Verena

Peter habe ich stets als überaus selbstkritisch und bescheiden erlebt, allem Geniekult abhold. Er entstammte jener kritisch geschulten Nachkriegsgeneration, für die Künstlersein ganz selbstverständlich Widerstand gegen Modeerscheinungen und kommerzielles Denken bedeutete. Was nach typischem Musikerdünkel oder akademischer Musikauffassung roch, war ihm ein Greuel – eine Haltung, die ich stets sehr bewunderte. All das war gewissermaßen natürlicher Teil seiner DNA, ohne dass er darüber moralinsauer geworden wäre. Dabei gehörte Peter im Grunde genommen zur Generation meiner Eltern, was aber im Gespräch mit ihm nie spürbar wurde.

Sich selbst in den Dienst anderer stellend realisierte er in Köln immer wieder umfangreiche Werke aus der Tradition der amerikanischen Experimental Music. Mit zahlreichen ihrer Protagonisten wie David Tudor oder Alvin Lucier hatte er selbst gearbeitet, mit manchen war er persönlich befreundet. Diese Vorliebe teilte er unter anderem mit Reinhard Oehlschlägel, dem damaligen Neue-Musik-Redakteur beim Deutschlandfunk oder Wolfgang Becker am WDR. Meinem Eindruck nach konnten wir in Köln vor der Jahrtausendwende besonders viel Musik der US-Experimentalisten in Live-Aufführungen erleben, gerade auch Autorinnen jenseits von Cage – und zu dieser Präsenz trug Peter Behrendsen hinter und vor den Kulissen maßgeblich bei.

Unter den prägenden Erlebnissen seiner eigenen Musikerbiographie ragt sicherlich sein vielfältiges Mitwirken an der Realisation von John Cages legendä_rem „Roaratorio“ am Studio Akustische Kunst des WDR Anfang der Achtzigerjahre heraus, von der er immer wieder lebhaft erzählte.

Peter hatte stets eine innige Verbundenheit mit qualitativ hochwertiger Rundfunkarbeit. Im Grunde steckte hinter seinem Wirken eine radiophone Ästhetik. Wiederholt war er beim Rundfunk als Regisseur tätig, und auch seine eigenen Kompositionen setzen oft Zuspielbänder, Sprecherinnen und alphabetische Wortlisten ein. Für die sprechbohrer erstellte er 2007 eine Fassung seines „Atem des Windes“, die wir in der Kunst-Station Sankt Peter unter seiner Ägide aufführen durften.

Sicher nicht zufällig ereignete sich meine allererste Begegnung mit Peters Kunst bei einem von ihm organisierten Sprachmusik-Konzert der Kölner Gesellschaft für Neue Musik im September 1992, in dem auch der mit ihm befreundete Gerhard Rühm eigene Werke aufführte. Peter performte auf seine beeindruckend unprätentiöse Art (zusammen mit der Schauspielerin Gisela Saur-Kontarsky) eine Duo-Version seines Stücks „Tschuon“. Im Programmheft schrieb er, er wolle den Zuhörerinnen nicht „eine bestimmte musikalische Assoziation nahelegen. [...] Musik, der Gegenstand des Textes, sollte ausschließlich sprachlich, durch musikalisierte Sprache, vermittelt werden.“ Als Student hat mich damals seine an Cage geschulte Herangehensweise in meinem eigenen Umgang mit Sprachklang als musikalischem Ereignis ganz klar bestärkt.

Grenzen überschreitend verbinden sich in Peters eigener Arbeit Aspekte von Klang, Bild und Schrift. Solche Interdisziplinarität war für ihn eine pure Selbstverständlichkeit; sie lag ganz natürlich und ohne besonderen Vorsatz in seinem sehr breiten und offenen Kunstbegriff. Alle, die je das Glück hatten, zu ihm und seiner ebenso klugen und feinfühligen Frau Verena nach Hause eingeladen worden zu sein, wussten ihn auch als hervorragenden Koch mit einer Präferenz „pour la cuisine française“ zu schätzen. Die Liebe zu Lebensart und Esprit unseres großen westlichen Nachbarlands stand in bemerkenswertem Kontrast zu seiner zuweilen fast asketisch wirkenden Musik­auffassung. Hierbei war ihm Kulinarik eher fremd. Niemals betrachtete er Musik aus dem beschränkten Blickwinkel naiven Musikantentums. Sie kam für ihn nur als eine mögliche Ausformung von „Kunst con la kappa maiuscola“ in Frage, geschrieben mit jenem „großen K“, das in Italien für die deutsche Ausprägung künstlerischer Ernsthaftigkeit steht.

Seine mannigfaltigen Erfahrungen als Komponist und Interpret zwischen Musik und Klangkunst gab Peter bereitwillig an Kollegen, aber auch an Studierende weiter, unter anderem an der Kölner Kunsthochschule für Medien. Die legendäre Kölner Brückenmusik, für die er im Laufe der Jahre unzählige international renommierte Klangkünstlerinnen in Kölns Deutzer Brücke eingeladen hatte, betrachtete er durchaus als seinen Sproß – wer das in Frage stellte, konnte ihm schon einmal eine sonst seltene Zornesröte ins Gesicht treiben.

Leider spielte ihm in den letzten Jahren die Gesundheit übel mit. Trotzdem gehörte Peter zu denjenigen Freunden, die immer präsent waren und tragende Pfeiler der Kölner Szene bildeten. Bei unserem letzten Telefonat vor wenigen Wochen war er wie immer voller Zukunftspläne. Seine plötzliche Absenz erscheint mir überhaupt nicht recht vorstellbar.

Als Künstler und Mensch hat Peter Behrendsen mir wie unzähligen Menschen wertvolle Impulse gegeben, die zweifellos weiter fruchtbar sein werden. Seine Erinnerung bewahren, heißt für mich, in seinem Geist weiterarbeiten.