MusikTexte 171 – November 2021, 81

großzügig und bescheiden

ein adieu für peter behrendsen

von hans w. koch

peter behrendsen bei der probe zu seinem letzten konzert am 15. juni 2021
bild: reinhard thon

in den frühen morgenstunden des 7. september ist völlig überraschend peter behrendsen verstorben, für viele jahre als komponist, musiker und veranstalter ein wichtiger pol im kölner musikleben und mir ein enger freund.

musikalisch war er ein autodidakt, worauf er zeitlebens stolz war. geboren 1943 in wiener neustadt begann er, nach dem studium der theaterwissenschaften, sich ab 1972 mit elektronischer musik zu beschäftigen, und machte seine ersten schritte mit dem synthesizer als mitglied im ensemble von josef anton riedl, der damals das kultur forum bonn center leitete. von 1977–1987 arbeitete er als freier mitarbeiter bei klaus schöning in dessen wdr hörspielstudio an zahlreichen produktionen mit, unter anderen von barry bermange, john cage, heinz von cramer, bill fontana, mauricio kagel und gerhard rühm. aus dieser zeit stammen viele kontakte zu künstlern, aus denen sich freundschaften entwickelten, allen voran john cage. obwohl er seine musikalische „heimat“ im umfeld der gründergeneration amerikanisch geprägter experimenteller musik gefunden hatte, blieb er stets auch seiner liebe zu avancierter rockmusik treu und besuchte auch ebenso gern mal eine aufführung von brahms’ „ein deutsches requiem“ in der philharmonie.

neben der teilnahme an den audioart symposien 1987 in alden biesen und 1988 in linz war er auch häufiger gast bei den veranstaltungen im apollohuis seines freunds paul panhuysen in eindhoven und natürlich in walter zimmermanns beginner studio, das von 1977 bis 1984 der kölner treffpunkt für avancierte musik war.

all die dort geknüpften kontakte und freundschaften zu künstlerischer avantgarde und interessantem nachwuchs nutzte er aber nicht für eine eigene „karriere“, sondern um in zahlreichen reihen und veranstaltungen das kölner musikleben zu „fermentieren“.

dazu gehören seine konzertreihe für experimentelle musik im stadtgarten von 1987 bis 1991 und die von ihm 1995 gegründete brückenmusik, sowie auch die beiden festivals für experimentelle musik und intermediale kunst ZwischenTöne (1989 und 1990) und vieles andere mehr. besondere bedeutung hatte für ihn das konzert „david tudor & friends“ das er im rahmen der vom WDR 1991 veranstalteten konzertreihe „wege elektronischer musik“ organisieren konnte und bei dem er selber mitwirkte.

neben david tudor, der als composer/performer auftrat, enthielt das programm werke von cage, behrman, kosugi, ishiyanagi, aufgeführt von einem von peter zusammengestellten ensemble aus – zum teil sehr jungen – menschen, bei denen er fühlte, dass sie seine liebe zur experimentellen musik teilen. einer musik, von der er im programmheft schrieb, dass ihre au­toren „im verzicht auf individuelle selbstverwirklichung“ den interpreten „die möglichkeit einer verantwortungsbewussten mitgestaltung“ einräumen. diese zurücknahme der eigenen befindlichkeit in der künstlerischen arbeit war sein von cage beeinflusstes credo und mag ein grund dafür sein, warum sich der komponist peter behrendsen zeitlebens hinter dem veranstalter peter behrendsen zurückhielt.

wie ich selbst oft erfahren durfte, war er jederzeit gern und großzügig bereit, seine beträchtliche erfahrung im umgang mit dieser musik an jeden interessierten menschen weiterzugeben und sein künstlerisch-familiäres netzwerk mit ihnen zu teilen, vorzugsweise bei einem jener legendären abendessen in gemeinschaft mit seiner frau verena. ebenso blieb er stets neugierig und aufgeschlossen jungen künstlerinnen und künstlern gegenüber, auch als er sich selbst schon ins reich der „alten socken“ (so der titel eines von ihm geplanten konzerts mit musikern seiner generation) verbannt fühlte.

in den letzten jahren fing er zunehmend an, sich doch gedanken um sein „musikalisches erbe“ zu machen, und es entstanden zwei LPs, die bei edition telemark veröffentlicht wurden: 2017 „Nachtflug/Atem des Windes“ und 2020 „10 x 15 = 30“. während auf der ersten LP zwei in sich geschlossene stücke dokumentiert sind, ein live-elektronisches duo und ein text-klang-stück (eine von ihm besonders gern gepflegte gattung), basiert die zweite auf der aufnahme des konzerts zu seinem fünfundsiebzigsten geburtstag. eine handvoll musikerinnen und musiker improvisierten zusammen mit peter nach einem von ihm anhand von cageschen verfahrensweisen entworfenen zeitplan, flankiert von projektionen befreundeter bildender künstlerinnen und künstler. da die länge der aufnahme das fassungsvermögen einer LP überschritten hätte, entschied er sich, geschmacksentscheidungen vermeidend, die aufnahme zur veröffentlichung in zwei hälften mit sich selbst zu überlagern. das material für eine dritte LP war gerade in arbeit, und 2020 erschien sein kleines büchlein „cage stories“, zu dem er freunde und geistesverwandte eingeladen hatte, persönliche erinnerungen an cage beizusteuern.

bis zuletzt war er musikalisch aktiv: sein letzter auftritt fand am 15. juni in clohars/bretagne statt.

einen für die teilnahme an der kölner reihe „raummusik und so“ am 12. september konzipierten beitrag konnte er leider nicht mehr realisieren.

ich war ihm 1991 im rahmen des „david tudor & friends“-konzerts zum ersten mal begegnet. 1995 lud er mich ein, bei der aufführung von alvin luciers „migrations“ im rahmen der ersten brückenmusik mitzuwirken, und 1996 erschien er zu einem konzert von mir in der galerie „schneiderei“, woraufhin er mir vorschlug, im folgenden jahr einen eigenen beitrag zur brückenmusik zu machen. als er mich später bat, die veranstaltung in zukunft gemeinsam mit ihm zu organisieren, sagte ich hochgeehrt zu, und wir haben dann von 1999 bis zu seinem ausscheiden 2004 gemeinsam die vielen kleinen und großen aufgaben der brückenmusik geteilt, ums programm und um die finanzen gerungen, jedes jahr über die viele arbeit geflucht. Aber kaum war die brücke wieder leergeräumt, fingen wir schon an, über die nächste ausgabe nachzudenken.

gemeinsame konzertreisen führten uns unter anderem nach brno, zum festival für experimentelle musik in münchen und zur maerzmusik nach berlin. ein ­höhepunkt war sicherlich die realisation seines langgehegten wunsches einer neuinterpretation von cages „reunion“, 2018 im kunstmuseum bern und ein jahr später in kölnischen kunstverein.

lieber peter, du hast durch deine erfahrung, großzügigkeit im teilen und bescheidenheit das kölner musikleben und mich nachhaltig geprägt – ich bin dankbar für alles, was ich in den jahren unserer zusammenarbeit und bei unseren vielen gemeinsamen unternehmungen erleben durfte.